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Siggi Baumeister 19 - Mond über der Eifel

Siggi Baumeister 19 - Mond über der Eifel

Titel: Siggi Baumeister 19 - Mond über der Eifel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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stieg auch Jennifer wortlos aus und kam zu mir. Es wirkte wie die verkrampfte, unbedingte Vermeidung, zusammen mit Emma in einem Auto zu fahren, im gleichen Raum zu sein.
    »Was ist denn das für ein Auto?«, fragte sie.
    »Ein Spaßauto«, erklärte ich. »Die gibt es ja auch in Sao Paulo, oder?«
    »Viele Spaßautos«, stimmt sie zu.
    Ich wartete, bis sie sich angeschnallt hatte.
    »Hat denn Tante Emma Rache genommen?«, fragte sie nach einer Weile nervös.
    Ich brauchte drei Sekunden, um ihren Gedankengang zu verstehen.
    »Nein, hat sie nicht. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, die Nazis nichts mit den Verbrechern. Sie ist jetzt über sechzig. Als die Nazis 1945 besiegt wurden, da war sie ein Kleinkind. Und ganz Holland hatte ein Riesenproblem: die Deutschen.«
    »Und wann hat sie angefangen, unsere Toten zu zählen?«
    »Da war sie ungefähr fünfundzwanzig, hat sie erzählt. Und eure ganze Sippe war dermaßen am Boden, dass niemand in der Lage war genau hinzugucken, ohne gleich einen Weinkrampf zu kriegen.«
    »Es war jedenfalls für mich ein Schock«, stellte sie fest. »Weil Tante Emma bei uns eine Heilige ist, wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Auch Heilige haben Macken. Müssen sie wahrscheinlich auch.«
    »Hatte deine Familie auch damit zu tun?«
    »Oh, ja. Meine Eltern. Und sie haben mich strikt belogen.«
    Sie schwieg eine Weile, dann fragte sie: »Und wie sehen solche Lügen aus?«
    »Ich habe meinen Vater und meine Mutter gefragt, ob sie irgendetwas über die systematische Ausrottung der Juden gewusst haben. Sie sagten: >Nein, haben wir nicht.< Als ich achtzehn war bin ich in die Stadt gefahren, in der meine Eltern damals wohnten. Und ich fand ganz leicht und ohne aufwendige Recherchen heraus, dass in der Nähe der Wohnung meiner Eltern vier Juden Geschäfte hatten, bei denen auch meine Mutter einkaufte. Und dann standen diese Läden plötzlich leer, und alle Leute wussten: Die sind im Lager, die werden sterben. Ich fand einen Mann in dem Haus, in dem meine Eltern damals lebten. Er sagte: >Wer 1941 nicht wusste, was mit den Juden passierte, kann nicht in Deutschland gelebt haben.<«
    »Und du hast deine Eltern gehasst?«
    »Ja, habe ich. Mein Vater ist bis zu seinem Tod bei dieser Lüge geblieben, und ich verstehe es bis heute nicht. Es war so unnötig. Aber ich hasse sie nicht mehr, ich liebe sie. Wieder. Und zuweilen ist es bedrückend, sich immer noch damit beschäftigen zu müssen. - Könntest du jemanden erschießen?«
    »Das frage ich mich zuweilen auch. Ich glaube, nein.«
    »Und wenn er im Zweifelsfall dich tötet?«
    »Wie will man so etwas in einer halben Sekunde beantworten? Ich denke, ich würde in diesem Zweifelsfall schießen. Guck mal, da ist ein Kiosk.«
    »Was gibt es da?«
    »Furchtbare Sachen«, antwortete ich und fuhr rechts an den Straßenrand.
    Für mich kaufte ich Fritten rot-weiß mit einer Currywurst, sie wollte dasselbe. Und dann saßen wir auf billigen Plastikstühlen am Straßenrand und stopften die Herrlichkeit in uns hinein.
    »Das ist ja ein sehr eigenwilliges Essen, aber bei uns gibt es Ähnliches«, lächelte sie, und ich widersprach nicht.
    Wieder im Wagen fragte ich: »Was ist mit deinen beiden Ehen?«
    Sie überlegte sehr lange. »Eigentlich liegt es daran, dass ich eine Tochter reicher Eltern bin. Der erste war ein orthodoxer Jude, der mich auf Händen tragen wollte. Jedenfalls hat er das behauptet. Er handelte mit Diamanten, und er war erfolgreich. Er war nicht das, was ich mir erträumt hatte. Er konnte nächtelang vor einer Handvoll Diamanten sitzen und sie anstarren. Und er wollte ein halbes Dutzend Kinder von mir. Der zweite war kein Jude, sondern ein gerissener Geschäftsmann, der mit jedem Rock flirtete und auch ins Bett ging, wenn es sich zu lohnen schien. Und er schlug mich, wenn ihm danach war. Und ihm war oft danach. Mein Vater drohte ihm dann, er werde ihn erschießen, wenn das noch einmal passiert. Und es passierte, und mein Vater erschoss ihn nicht, weil er von ihm noch eine Million Dollar zu bekommen hatte. Es ist keine besonders erzählenswerte Geschichte, es ist im Grunde eine ziemlich miese.«
    »Und jetzt schwebst du mit einem Haufen Fragen im All.«
    »Ja. Und ich weiß nicht, was ich tun soll.«
    »Das regelt sich«, behauptete ich, obwohl ich wusste, dass sich solche Sachen keineswegs einfach so regeln. »Wie lebt ihr denn? In einer Hazienda auf dem Land?«, fragte ich nach einer Weile weiter.
    »Nein, das nicht«, antwortete sie.

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