Siggi Baumeister 19 - Mond über der Eifel
männlichen Hals ist man im fraulichen Leben ja immer dankbar.
Ich wollte ablenken, ich wollte eigentlich in die Luft gucken und pfeifen. Ich sagte: »Guck mal, ich habe ein Rotschwanzpärchen im Garten!«
Sie starrte mich an, als müsse ich dringend zu einem Psychiater. »Und jetzt können wir zu Tante Emma!«, stellte sie bissig fest. »Oder soll ich zu Fuß gehen? Oder hast du noch ein Pärchen, das erwähnenswert ist?«
»Ich bring dich schon, schließlich haben wir Rodenstocks Auto unter dem Hintern. Du kannst natürlich auch selbst fahren, das Auto gehört sowieso nach Heyroth.«
»Man sieht sich«, sagte sie pulvertrocken und ging zu dem Spaßauto. Dann donnerte sie rückwärts aus dem Hof, dass man meinen konnte, sie sei auf einer Kartbahn. Lieber Himmel, war die sauer!
Ich hob den rechten Zeigefinger und dozierte meiner Katze: »So bewahrt man seine Unschuld. Ich hoffe, du hast zugesehen und etwas gelernt.«
Meine Katze reagierte nicht, menschliche Schwierigkeiten interessierten sie nicht im Geringsten.
Dann tat ich das, was ich schon seit Stunden tun wollte, ich rief die Redaktion an und ließ mich mit Robert Hürth verbinden. Hürth war jemand, der schnell entscheiden konnte und dabei sogar riskierte, dass er daneben lag.
»Ich hätte da einen wunderbaren Mord«, sagte ich.
»Wer hat ihn begangen und warum?«
»Das kommt später. Erst einmal: Er ist ein Bauernjunge aus der Eifel, dreiundvierzig Jahre alt. Und er ist ein Schamane, ausgebildet in den USA. Und sein Mörder hat ihn in ein düsteres Tuch eingeschlagen und auf die Aste einer heiligen Eiche gezurrt. Es ist eine durchaus seltene Baumbestattung …«
»Moment mal, so was gab es doch wirklich, oder? In den Staaten, bei Indianern. Um 1880 herum. Haben wir Fotos davon?«
»Ja, haben wir.«
»Und wie ist er zu Tode gekommen?«
»Das weiß ich erst in ein paar Stunden.«
»Ich will die Geschichte haben, aber nur, wenn wir wesentliche Bestandteile exklusiv bekommen. Klar? Und ran an die Bouletten, Junge!« Er pflegte ständig mit derartigen Schlachtrufen um sich zu werfen, was manche Leute zu dem Verdacht brachte, er sei an die Hundert. Er war achtundzwanzig.
Dann interessierte mich, was das Lexikon unter einem Schamanen verstand, und ich las, dies sei ein Wort aus dem Tungusischen. Es sei bei Naturvölkern ein Mann, der mit ungewöhnlichen seelischen Kräften begabt ist. Durch Tanz, Gesang und Musik, aber auch Narkotika versetze er sich in Ekstase, könne dann Kranke heilen, Unheil abwenden, Jagderfolge beeinflussen, sogar das Wetter zum Guten wenden. Es gebe auch Schamaninnen. Diese Menschen könnten das gestörte Verhältnis Mensch-Gottheit wieder in Ordnung bringen. In Nordasien und Nordamerika sei dieses Phänomen bekannt.
Das brachte mich nicht weiter, es brachte nur neue Fragen, weil Jakob Stern ausgesagt hatte, er nehme niemals Drogen. Wir mussten jemanden finden, der über diese Sitzungen bei den heiligen Eichen aussagen konnte. Das würde schwer sein, denn ihr Meister war tot und dieses Ereignis verwirrte die Schüler bestimmt und erfüllte sie mit Furcht.
Dann meldete sich das Telefon, und Emma fragte: »Kommst du zum Essen?«
»Eher nein. Ich habe noch viel zu erledigen.«
»Es wäre aber anzuraten«, murmelte sie. »Du hast das Kind ganz verwirrt.«
»Das Kind? Das Kind marschiert auf die Vierzig zu.«
»Sie weiß doch nicht, wie es mit ihr weitergehen soll.«
»Ich weine gleich. Bloß weil deine Verwandte im Moment nicht weiter weiß, muss ich doch nicht mit ihr ins Bett hüpfen.«
»Das meinte sie doch gar nicht so. Sie wollte nur lieb sein.«
»Emma. Du spinnst!«
»Komm doch her und rede mit ihr. Rodenstock kaut schon auf den Fingernägeln, weil er glaubt, sie bricht uns gleich zusammen.«
»Bin ich dein Familientherapeut? Es ist doch gar nichts passiert. Herrgott, ist das ein kleinkariertes Familienunternehmen. Ich habe andere Probleme als ausgerechnet deine Verwandte Jennifer.«
»Sie ist doch hier, um ihren Weg zu finden.«
»Ja, und?«
»Baumeister! Sie denkt, sie hat sich zu Tode blamiert.«
Emma, die Familienheilige.
»Ich komme gleich, verdammt noch mal.«
Aber erst einmal Claudia Reiche, die bereit gewesen war, für Jakob Stern einen Meineid zu schwören. Sie sei eine Heilerin in Ausbildung, hatte sie gesagt. Und ihr Ausbilder sei Jakob Stern. Sie hatte mir ihre Adresse und Telefonnummer da gelassen. Ich rief sie an.
Sie klang düster, sie klang nach Tränen.
»Es tut mir leid, was da passiert
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