Siggi Baumeister 19 - Mond über der Eifel
war ein Schwachpunkt, Franz war immer ein Schwachpunkt. Das hat Jakob so gesagt, und Jakob hat sich bei seinem Bruder auch mehrmals entschuldigt. Einmal war ich sogar dabei.«
»Wo ist dieser Franz eigentlich?«, fragte Rodenstock. »Wissen Sie das?«
»Nein, das weiß ich nicht, aber Franz ist mal hier und mal da. Das weiß kein Mensch. Außerdem trinkt er zu viel. Er hat da ein Problem. Er ist, wie gesagt, mal hier und mal da und manchmal in dem alten Hexenhäuschen im Tal. Und eigentlich ist er auch nicht schlimm, irgendwie. Er ist jemand, der zu viel trinkt, aber niemandem Schaden zufügen will. Die Leute sagen, er ist ein Quartalssäufer, er braucht das einfach von Zeit zu Zeit.«
»Wie kommt es dann, dass Jakob so brutal wurde seinem Bruder gegenüber?«, fragte ich weiter.
»Jakob sagte immer: >Der Franz kann so viel, der hat so viele Talente. Und er lässt sie verkommen.<«
»Sie sagten, Jakob habe sich mal in Ihrer Anwesenheit entschuldigt. Wie muss man sich das vorstellen, was lief da ab?«, fragte Rodenstock.
»Ich weiß nicht, was vorgefallen war, aber Franz saß mit im Kreis um das Feuer, und plötzlich sagte Jakob: >Tut mir leid, mein Alter, dass mir die Pferde durchgingen, wird nicht wieder passieren.< Aber ich wusste gar nicht, was vorgefallen war. Franz jedenfalls sagte: >Schon in Ordnung.< Und das war es dann.«
»War Jakob jemals verheiratet?«, fragte Rodenstock gefährlich beiläufig.
»Ja, war er. Mit ungefähr zwanzig hat er eine Frau aus Simmerath geheiratet. Aber die Ehe hielt nicht lang. Die Frau heiratete später wieder, aber ich weiß nicht, wen.«
Emma kam herein, stellte einen Becher Tee vor sie hin, setzte sich und fragte schnell und übergangslos: »Im Haus von Jakob hat man in einer Schublade zweiundsechzigtausend Euro in bar gefunden. Haben Sie eine Ahnung, wie man das erklären kann?«
»Das weiß ich nicht«, sagte sie. »Von seinen Finanzen hatte ich nie eine Ahnung.«
»Sie haben gesagt, er habe Ihres Wissens nach niemals Geld für irgendeine Behandlung, oder einen Ratschlag genommen. Heißt das, dass auch Ihre Ausbildung zur Heilerin nichts kostete?«
»Ja, das heißt es. Ich habe mal versucht, ihm pro Sitzung etwas zu geben. Er wollte nicht. Da habe ich mal einen Kuchen gebacken, mal einen Rollbraten mitgebracht. Dann lachte er immer und sagte, er würde ohne mich verhungern.« Jetzt war sie den nächsten Tränen gefährlich nahe und sie bemühte sich auch nicht, das zu verstecken. Sie wirkte gelöst.
»Sie wurden zu einer Schamanin ausgebildet«, folgerte Emma weiter. »Wie sah denn das aus? Was müssen wir uns darunter vorstellen? Da gibt es doch sicher keine Lehrbücher, oder?«
»Natürlich gibt es Lehrbücher, weil Heilpraktiker das brauchen.« Sie lächelte schmerzlich in der Erinnerung. »Ich habe selbst Hefte angelegt, die Kräuter notiert, Rezepte ausprobiert, Mischungen versucht. Und wahrscheinlich bin ich allen Verwandten auf den Keks gegangen, wenn die mal eine Grippe hatten. Nimm dies, nimm jenes und so weiter. Anfangs haben die mich ausgelacht, aber dann konnte ich einigen richtig helfen, und sie hörten auf zu lachen.«
»Moment mal.« Emmas Ton wurde jetzt schärfer. »Sie reden hier von Phytotherapie und Phytomedizin, sehe ich das richtig?«
»Ja klar, das ist es letztlich. Und die Indianer haben Kräuter, die wir nicht kennen, weil sie hier nicht wachsen. Und genau dasselbe kann man bei den Kasachen erleben, also in der Mongolei. Die meisten Heilpflanzen, das war jedenfalls Jakobs Meinung, kennen wir noch gar nicht.«
»Und was, zum Teufel, ist Phytomedizin?«, fragte Rodenstock.
»Heilpflanzenkunde«, sagte Emma spitz. »Ich habe dein Allgemeinwissen für etwas breiter gehalten.«
»Da gibt es aber doch die andere Seite«, Rodenstock grinste flüchtig, wirkte jetzt sehr behutsam. »Schamanen, so heißt es, nehmen irgendwelche Kräuter zu Hilfe, um sich selbst zu stimulieren. Oder bestimmte Pilze, die anregend wirken. Dann gibt es Tänze, dann gibt es Gebete, dann gibt es Meditationsübungen, dann spricht göttliche Weisheit aus ihnen. Gab es so etwas?«
»Drogen habe ich nie erlebt.«
»Wie lange bildete er Sie aus?«, fragte Emma.
»Zwei Jahre bis jetzt. Unregelmäßig, er war ja oft weg.«
»Hat er gesagt, wann Sie fertig sein werden?«
»Ja. In zwei Jahren. Er wollte mich im nächsten Jahr mitnehmen in die Staaten. Ich sollte Indianer kennenlernen, die Schamanen sind.«
»Ich glaube Ihnen nicht so ganz«, sagte Emma in die Stille.
Weitere Kostenlose Bücher