Siggi Baumeister 19 - Mond über der Eifel
»In einem bewachten Ghetto der Reichen mitten in der Stadt. Mit einem Haufen Bediensteter, ich sage immer, für jede Untertasse einen Knecht.«
»Gibt es auch etwas, wovon du träumst?«
»Na, klar. Ich träume davon, einen ordentlichen Beruf zu haben. Und mein Vater behauptet immer noch, das sei Blödsinn, das brauchte ich doch gar nicht. Also, werde ich von zu Hause weggehen müssen.«
»Und deswegen bist du unterwegs?«
»Deswegen«, antwortete sie. »Ich bin spät dran, nicht wahr? Warst du schon verheiratet?«
»Glücklicherweise nur einmal. Und es war schrecklich, und ich will keinen zweiten Versuch, obwohl immer behauptet wird, jeder Mensch bekomme eine zweite Chance. Der, der diesen Spruch erfunden hat, sollte lebenslang im Steinbruch arbeiten müssen.«
Mein Handy meldete sich, und Rodenstock dröhnte: »Kischkewitz sagte eben, dass unser Freund Jakob Stern schon tot war, als er auf dem Baum angebunden wurde. Und sie haben herausgefunden, dass irgendein Gift eine Rolle gespielt hat. Sie haben es wohl in bestimmten Muskelgruppen gefunden. Aber sie wissen noch nicht, welches Gift es war. Sie fuhrwerken noch mit chemischen Reaktionen herum. Wir haben es also mit einem Mord zu tun. Dann habe ich mit dem Mann in Vossenack gesprochen. Er sagt, wir können ihn morgen treffen. Wo seid ihr?«
»Noch eine Weile unterwegs. Wir hatten Fritten und Currywurst.«
»Widerlich!«, urteilte er. »Noch etwas: Einer von Kischkewitz’ Männern meint, dass unser Schamane möglicherweise einen Job als Lebensberater in einem Astro-Sender übernehmen sollte. Das ist möglich, aber noch nicht bewiesen.«
»Weshalb sollte er so etwas tun? Und wie kommt dieser Kischkewitz-Mann darauf?«
»Keine Ahnung. Aber vielleicht ist das eine Erklärung für die zweiundsechzigtausend Euro, die wir gefunden haben. Vielleicht ein Honorar oder so etwas.«
»Wer zahlt ein Honorar von zweiundsechzigtausend Euro in bar aus? Frag doch mal die Griseldis, vielleicht weiß die etwas.«
»Der Mann war finanziell gesehen, jedenfalls nach den Angaben des Finanzamts, die geballte Harmlosigkeit. Bis auf dieses Bargeld. Irgendetwas stimmt da nicht. Bis später.«
»Halt, stopp! In dem kleinen Häuschen auf dem Grund von Stern soll doch der Bruder von Zeit zu Zeit gewohnt haben. Ist der mittlerweile aufgetaucht, gibt es den überhaupt?«
»Ja, den gibt es. Aber die Eingeborenen sagen, dass der manchmal wochenlang nicht auftaucht. Jedenfalls nicht, solange er noch einen Fünfer in der Tasche hat.«
»Warst du selbst in dem Haus?«
»Ja«, antwortete er. »War ich. Das Haus ist sauber, da war wochenlang niemand drin.«
»Wie ist denn die allgemeine Beurteilung des Toten? Hatte er viele Bekannte, Freunde, Verwandte? Oder lebte er ein Einsiedlerdasein?«
»Nein, kein Eremit. Er hatte eine Unmenge an Bekannten und sogar einige gute Freunde. Und einen davon, den Hexer, besuchen wir morgen in Vossenack. Und noch etwas ist wichtig: Erinnerst du dich, dass diese Griseldis erzählte, sie habe eine Kartei mit ungefähr sechshundert Namen?« Er wartete meine Antwort nicht ab. »Da habe ich mich schon sehr gewundert. Aber: Jakob Stern hatte noch mehr Leute in seiner Kartei, mehr als die Griseldis. Und darunter sind auch Promis, also Fernsehleute, Redakteure und Manager. Leute, die das Sagen haben. Das wird richtig lustig, Baumeister!«
»Ich muss hier mal anhalten«, sagte ich und fuhr auf meinen Hof. »Ich muss wissen, ob jemand mich angerufen hat. Bin gleich wieder da und fahre dich zu Emma.«
»Lass dir Zeit«, sagte sie. »Ich guck mir deinen Garten an. Emma sagt, der ist verwunschen wie im Märchen.«
»Na ja, es ist ziemlich viel Grün.«
Ich ging hinauf in mein Arbeitszimmer. Jemand hatte angerufen, ich ließ den Anrufbeantworter laufen. Es war ein Mann, der sich anfangs mehrmals räusperte, als müsse er jetzt einen vorgeschriebenen Text ablesen: »Ich melde mich bei Ihnen, weil ich Ihnen einen Hinweis geben kann, wer den Schamanen, also den Jakob Stern, umgebracht hat. Man hört ja so einiges. Also, es ist so, dass ich Zeuge eines seltsamen Vorgangs wurde. Das war vor ungefähr vier Wochen unten an der Bäckerei von Lenchen Schmude. Da hing der Bruder von Jakob Stern, Franz Stern, ziemlich betrunken auf einer Bank herum und bat unter anderem mich um eine Spende. Ich gab ihm einen Euro, und er bedankte sich ordentlich mit einer Verbeugung. Das macht der immer so. Dann schlief er wohl ein. Dann kam Jakob Stern mit seinem roten Sportflitzer
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