Sigma Force 01 - Sandsturm
Vergangenheit nicht mit der Gegenwart in Verbindung bringen zu können.
Das Tröpfeln von Wasser riss sie aus ihren Gedanken und zog sie ins angrenzende Badezimmer. Bis zum Abendessen war nicht mehr viel Zeit. Sie zog sich aus und ließ ihre Kleider auf den Boden fallen. Das Bad war eine in den Boden eingelassene, geflieste Wanne, tief, aber schmal. Wasserdampf stieg auf. Beinahe glaubte sie ein Wispern zu hören. Vielleicht kam es aber auch von der Schicht aus weißen Jasminblüten, die auf der Oberfläche trieb, der Ursprung des Dufts in den Zimmern.
Der Anblick zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen, voller Melancholie.
Sie ging zur Wanne, und obwohl sie die Stufen im Wasser nicht sehen konnte, stieg sie ohne Zögern hinein, geführt von Instinkten aus der Vergangenheit, die vielleicht noch nicht völlig verdrängt waren. Sie glitt in die dampfende Wärme, sank bis zum Kinn hinein und lehnte sich gegen die Fliesen, sodass ihre Haare sich auf dem Wasser und den Blüten auffächerten.
Etwas Tieferes als nur verspannte Muskeln lockerte und entspannte sich.
Sie schloss die Augen.
Zu Hause …
20:02
Der Wachmann patrouillierte in der Gasse, die Taschenlampe in der Hand, den Strahl auf den gepflasterten Weg gerichtet. Mit der anderen Hand riss er an der äußeren Kalksteinmauer der Kensington-Residenz ein Streichholz an. Knisternd loderte eine kleine Flamme auf. Doch er bemerkte die schwarz gekleidete Gestalt nicht, die sich in den tiefen Blätterschatten der Dattelpalme drückte, die die Mauer überragte.
Das Licht fraß die Schatten, und beinahe hätte man sie entdeckt. Cassandra betätigte den Abzug ihres Wurfanker-Katapults. Das leise Geräusch des gut geölten Mechanismus wurde vom Bellen eines streunenden Hundes überdeckt, einem von vielen, die durch die Straßen Maskats liefen. In weichen Slippers lief sie die Wand hoch, gezogen von dem dünnen Stahl-Aluminium-Kabel, das sich nun wieder auf die Spule der pistolenähnlichen Abschussvorrichtung wickelte. Oben angekommen, nutzte sie den Schwung, um den ganzen Körper auf die Mauerkrone zu hieven, und lag dann flach da.
Rasiermesserscharfe Glasscherben steckten in der Mauerkrone, um Eindringlinge abzuwehren. Doch gegen ihren schwarzen Kevlar-Overall und die Handschuhe konnten sie nichts ausrichten. Eine Scherbe spürte sie allerdings an ihrer rechten Schläfe. Ihre Maske verdeckte und schützte fast ihr ganzes Gesicht, bis auf einen schmalen Schlitz um die Augen. Eine reflexionsfreie Nachtsichtbrille klemmte ihr einsatzbereit auf der Stirn. Das Gerät konnte eine Stunde lang digitalisiertes Bildmaterial aufnehmen und war außerdem mit einer Mikro-Parabolantenne für einen Lauschangriff verbunden.
Eine Eigenentwicklung von Painter Crowe.
Der Gedanke erzeugte ein dünnes Lächeln. Die Ironie gefiel ihr. Des Mistkerls eigenes Werkzeug gegen ihn zu verwenden …
Cassandra sah zu, wie der Wachmann um ein Mauereck verschwand. Sie löste den Wurfanker und befestigte ihn wieder an der Mündung des kompakten Schussapparats. Dann drehte sie sich auf den Rücken, entfernte die leere Luftdruckpatrone aus dem Griff und setzte eine neue ein. Anschließend drehte sie sich wieder um und kroch auf der splitterbewehrten Mauerkrone auf das Hauptgebäude zu.
Die Außenmauer hatte keine Verbindung mit dem Palast, sondern umgab das Gebäude in einem Abstand von zehn Metern. Zwischen Mauer und Haus befanden sich kleinere Grünanlagen, einige als abgeschlossene, von Hecken gesäumte schattige Gärten mit Brunnen. Das Plätschern von Wasser drang zu ihr hoch, während sie weiter die Mauerkrone entlangkroch.
Einige Stunden zuvor hatte sie sich das Anwesen mit einem Fernglas genau angesehen, um sicherzugehen, dass die Überwachungs- und Sicherheitsinformationen, die die Gilde ihr geliefert hatte, auch zutrafen. Nie würde sie sich auf schriftliche Informationen allein verlassen. Sie hatte persönlich jede Kameraposition, den Dienstplan der Wachen und den Grundriss des Palasts kontrolliert.
Tief geduckt kroch sie unter den überhängenden Blättern einer anderen Palme nun langsamer auf einen hell erleuchteten Teil des Palasts zu. Ein kleiner Säulengang umrahmte Bogenfenster, die den Blick freigaben in einen langen Speisesaal. Auf dem Tisch flackerten in silbernen Schalen zu zarten Blumen geschnitzte Kerzen, andere steckten in kostbaren Kandelabern. Kristallglas und feines Porzellan reflektierten den Schein der Flammen. Vor dem Tisch standen Gestalten in Gruppen zusammen.
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