Sigma Force 01 - Sandsturm
Verzögerung. Kara Kensington würde das ganz und gar nicht gefallen.
18:48
»Beruhige dich«, sagte Safia.
Sie hatten sich alle im Garten des Innenhofs der Kensington-Residenz versammelt. Die hohen Kalksteinmauern mit bröckelndem Putz stammten aus dem sechzehnten Jahrhundert wie auch die idyllischen Rankenfreskos, die überwölbte Landschaften und Seeansichten einrahmten. Vor drei Jahren hatten Restaurationsarbeiten die Fresken in ihrer ursprünglichen Pracht wiederhergestellt. Nun sah Safia das Resultat zum ersten Mal mit eigenen Augen. Kunsthandwerker des British Museum hatten sich um die Detailarbeit hier vor Ort gekümmert, während Safia von London aus mit Digitalkameras und Internet alles überwacht hatte.
Die Fotos wurden der Opulenz der Farben nicht gerecht. Die blauen Pigmente stammten von zermahlenen Muschelschalen, die roten aus gepresster Färberwurzel, wie schon damals im sechzehnten Jahrhundert.
Safia wandte sich nun dem Garten selbst zu, in dem sie in ihrer Kindheit gespielt hatte. Gebrannte rote Fliesen bildeten Pfade zwischen erhöhten Rosenbeeten, sauber geschnittenen Hecken und kunstvoll arrangierten Immergrüngewächsen. Ein englischer Garten, ein Stückchen Großbritannien mitten in Maskat. Einen Kontrast dazu bildeten jedoch vier große Palmen, eine in jeder Ecke, die mit ihren ausladenden Kronen große Teile des Gartens beschatteten.
Erinnerungen legten sich über die Wirklichkeit, ausgelöst vom Duft des Kletterjasmins und dem tieferen, sandigen Aroma der Altstadt. Geister wehten über die gesprenkelten Fliesen, Schattenspiele der Vergangenheit.
In der Mitte des Hofs plätscherte hell ein traditioneller omanischer Fliesenbrunnen mit einem achteckigen, spiegelnden Becken. Früher schwammen und plantschten Safia und Kara an besonders heißen und staubigen Tagen in dem Becken, was Karas Vater allerdings nicht sehr gerne sah. Noch immer konnte Safia sein belustigtes Gepolter hören, das von den Gartenmauern widerhallte, wenn er von einer Aufsichtsratssitzung zurückkehrte und sie in dem Brunnen fand. Ihr seht aus wie zwei gestrandete Seehunde. Aber manchmal zog sogar er seine Schuhe aus und watete zu ihnen hinein.
Kara ging an dem Brunnen vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Die Verärgerung in ihren Worten brachte auch Safia wieder in die Gegenwart zurück. »Zuerst Omahas Abenteuer … jetzt das verdammte Wetter. Wenn wir dann endlich einmal unterwegs sind, weiß halb Arabien von unserer Exkursion, und wir haben keinen Augenblick mehr Ruhe.«
Safia folgte ihr und überließ das Entladen der Fahrzeuge den anderen. Painter Crowe hatte die schlechten meteorologischen Neuigkeiten gleich bei seiner Ankunft verkündet. Sein Gesicht war dabei neutral geblieben. »Schade, dass man sich gutes Wetter nicht kaufen kann«, hatte er ironisch geendet. Es schien ihm Spaß zu machen, Kara aufzustacheln. Aber nach all den Hindernissen, die Kara aufgebaut hatte, um die beiden Amerikaner von einer Teilnahme an der Expedition abzubringen, konnte Safia es ihm nicht verdenken.
Am überwölbten Eingang zu dem alten Palast, ein zweistöckiges Gebäude aus behauenem und gefliestem Kalkstein, holte Safia Kara ein. Die oberen Stockwerke waren mit überdachten Balkonen geschmückt, die auf reich verzierten Säulen ruhten. Meerblaue Fliesen zierten alle Innenflächen der Balkone, was nach der sengenden Hitze entspannend kühl wirkte.
Kara schien in ihrer Heimkehr keinen Trost zu finden, das Gesicht wirkte angespannt, die Kiefermuskeln traten vor.
Safia berührte ihren Arm und fragte sich, wie viel von ihrer Gereiztheit Frustration war und wie viel durch ihre Abhängigkeit bedingt. »Der Sturm ist nicht das Problem«, beruhigte sie ihre Freundin. »Wir hatten doch vor, zuerst nach Salalah zu reisen, um Nabi Imrans Grab zu untersuchen. Ich bin mir sicher, wir sind mindestens eine Woche dort.«
Kara atmete tief durch. »Trotzdem, diese Geschichte mit Omaha. Ich hatte gehofft, zu viel Aufmerksamkeit vermeiden zu können …«
Unruhe am Tor unterbrach sie. Die beiden Frauen drehten sich um.
Ein omanisches Polizeiauto hielt mit Blinklicht, aber ohne Sirene neben den beiden Limousinen. Zwei Männer stiegen aus.
»Wenn man vom Teufel spricht …«, murmelte Kara.
Safia fiel es plötzlich schwer, zu atmen, die Luft war dick geworden.
Omaha …
Plötzlich schien die Zeit langsamer zu vergehen, der dumpfe Schlag des Herzens in ihren Ohren bestimmte das Tempo. Sie hatte gedacht, sie könnte sich länger
Weitere Kostenlose Bücher