Sigma Force 01 - Sandsturm
wurde auf die Innenseite ihres Nachtsichtgeräts projiziert. Das Durcheinander der Bilder konnte nur ein geübtes Auge interpretieren.
Die Anlage der Altstadt folgte keinen rationalen Prinzipien. Die Umgebung war ein Labyrinth aus Gassen und gepflasterten Straßen.
Wenn der Attentäter sich in dieses Gewirr flüchten konnte …
Cassandra lief noch schneller. Der andere musste gebremst werden. Die digitale Projektion zeigte, dass die Seitenstraße bis zur nächsten Kreuzung weniger als dreißig Meter lang war.
Cassandra hatte nur eine Chance.
Sie sprang zur Ecke und riss die Wurfanker-Pistole vom Gürtel. Dann huschte sie auf die Straße, suchte ihr Ziel und visierte es an.
Sie betätigte den Abzug.
Das Stahlseil sirrte. Der Wurfanker schoss in flachem Bogen die Straße entlang und über die Schulter ihres Ziels hinweg.
Cassandra schaltete die Spule auf Einziehen und riss zugleich die Pistole mit dem Arm zurück. Wie beim Fliegenfischen.
Die Haken des Ankers gruben sich in die Schulter des Gegners und schleuderten ihn so heftig herum, dass er von den Beinen gerissen wurde.
Cassandra gestattete sich ein zufriedenes Grinsen.
Doch sie hatte sich zu früh gefreut: Der Gegner drehte sich im Fallen, sodass der Umhang sich auffächerte, und zugleich befreite er sich von dem Stoff mit einer Geschicklichkeit, die selbst Houdini erstaunt hätte. Durch das Nachtsichtgerät wirkte die Gestalt im Mondlicht so hell wie mitten am Tag.
Eine Frau.
Mit katzenhafter Geschmeidigkeit landete sie auf einer Hand und sprang sofort wieder auf. Mit wehenden dunklen Haaren rannte sie die Straße hinunter.
Cassandra fluchte und jagte ihr nach. Ein Teil von ihr bewunderte das Geschick ihrer Gegnerin und freute sich über die Herausforderung. Ein anderer hätte der Frau am liebsten in den Rücken geschossen. Doch sie brauchte Antworten.
Sie verfolgte die Frau, deren Bewegungen geschmeidig und sicher waren. Cassandra war in der High School eine der besten Sprinterinnen gewesen und während des rigorosen Special-Forces-Trainings nur noch schneller geworden. Als eine der ersten Frauen bei den Army Rangers musste sie schnell sein.
Ihr Ziel bog wieder um eine Ecke.
Um diese späte Uhrzeit waren die Straßen bis auf ein paar dösende Hunde und streunende Katzen leer. Nach Sonnenuntergang wurden in der Altstadt die Türen verriegelt und die Läden geschlossen, die Straßen lagen im Dunkeln. Gelegentlich drangen Musikfetzen und Gelächter aus Innenhöfen. Von einigen Balkonen fiel Licht auf die Straße, doch auch sie waren gegen Eindringlinge vergittert.
Cassandra kontrollierte ihre digitale Kartenprojektion. Ein dünnes Lächeln umspielte ihre Lippen. Das Gewirr der Gassen, in das ihre Gegnerin sich geflüchtet hatte, war zwar unübersichtlich, letztendlich jedoch eine Sackgasse, die an der hoch aufragenden Flanke der Festung Jalai endete. Die Festungsmauer hatte auf dieser Seite keinen Eingang.
Cassandra behielt ihr Tempo bei. Im Kopf plante sie bereits den Angriff. Mit der linken Hand zog sie eine Glock aus dem Halfter. Mit der anderen klopfte sie auf ihr Funkmikro. »Ich brauche Evak in zehn«, flüsterte sie. »Ortet mein GPS.«
Die Antwort war knapp. »Verstanden. Evak in zehn.«
Ihr Unterbefehlshaber würde wie geplant ein Team mit drei modifizierten Geländemaschinen mit schallgedämpftem Auspufftopf, massiven Gummireifen und frisiertem Motor losschicken. Autos waren in den engen Straßen der Altstadt nur beschränkt einsetzbar. Motorräder passten besser in dieses Terrain. Eins wusste Cassandra nur zu gut: Das Werkzeug musste zur Aufgabe passen. Hatte sie ihre Gegnerin erst einmal gestellt, war auch die Verstärkung sofort zur Stelle. Sie musste die Frau nur in Schach halten. Sollte sie Widerstand leisten, würde eine Kugel ins Knie ihren Enthusiasmus dämpfen.
Ein weißes Aufblitzen in ihrer Nachtsichtbrille zeigte Cassandra, dass ihre Gegnerin langsamer wurde, der Abstand sich verkürzte. Offensichtlich hatte sie erkannt, dass sie in eine Falle gelaufen war.
Cassandra passte sich dem Tempo der anderen an, jedoch ohne sie aus den Augen zu lassen.
Nach einer letzten Biegung der schmalen Gasse kam die hoch aufragende Festung Jalai in Sicht. Die Ladenzeilen zu beiden Seiten der Gasse stießen an die Mauer und bildeten mit ihr ein steinernes U.
Die Frau trug, jetzt ohne ihren Umhang, nichts als ein loses weißes Hemd. Sie stand am Fuß der steilen Sandsteinmauer und schaute nach oben. Der nächste mögliche Griffpunkt, eine
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