Sigma Force 05 - Das Messias-Gen
Einsatzzentrum der Operation Saturn war in einer kleinen künstlichen Höhle untergebracht. Der mittels Sprengungen geschaffene Hohlraum von der Größe einer Hotellobby wurde eingerahmt von verölten Gerüsten und war vollgestopft mit Bergbauausrüstung: mit Förderbändern, hydraulischen Winden, Entstaubern, Wasserpumpen, Schläuchen. In der Mitte befand sich eine kompakte Bohranlage mit einem spezialgehärteten Bohrer aus Wolframkarbid. Das meiste davon würde entweder hier zurückbleiben oder mit dem nächsten Zug fortgeschafft werden.
Sawina beobachtete, wie ein Bagger eine Gesteinsladung auf einen der Güterwagen kippte. Der Zug würde heute noch eine letzte Transportfahrt nach MK 337 unternehmen.
Alles lief nach Plan.
Gleichwohl überwachte sie breitbeinig den Verladevorgang. Das Gespräch mit Nicolas ging ihr immer noch nach. Sie hatte gewusst, dass er dickköpfig war und zu vorschnellen, leichtsinnigen Entschlüssen neigte. Sie bedauerte, ihm von Sascha erzählt zu haben. Eine solch törichte Vorgehensweise hätte sie ihm nicht zugetraut. Wo war seine Unvoreingenommenheit in solchen Dingen? Sie verfügten noch über zehn Omega-Objekte, mehr als genug, um in Moskau die Saat auszubringen. Die zehn Kinder allein reichten aus, ihm die ganze Welt untertan zu machen und eine Wiedergeburt der Menschheit einzuleiten, die vom russischen Imperium angeführt werden würde. Der zukünftige Zar würde nicht nur einen Rasputin als Berater haben, sondern gleich zehn . Zehn mit Implantaten ausgestattete hellseherisch begabte Savants, die ihm Raum und Zeit gefügig machen würden.
Weshalb begriff er das nicht?
Was bedeutete schon ein einzelnes Kind im Vergleich zu einer solch gewaltigen Vision?
Wenn man Nicolas’ Sohn Pjotr dazurechnete, waren es zwei.
Die Begabung des Jungen war zwar stark ausgeprägt, aber nur von geringem Wert. Welchen Nutzen hatte die Empathie, wenn es darum ging, eine neue Welt zu schmieden? Allenfalls war sie dabei hinderlich. Alles, was auf dem Spiel stand, war das genetische Potenzial des Jungen. Ein schwerer Verlust, aber auch nicht unersetzlich. Außerdem bestand immer noch Hoffnung, den Jungen wieder einzufangen. Leutnant Borsakow hatte zuletzt gemeldet, er sei im Begriff, in den Asanow-Sumpf vorzudringen. Es war nicht leicht, dort im Dunkeln jemanden zu finden, aber mittlerweile schien die Sonne, und sie rechnete jeden Moment mit einer Erfolgsmeldung. Zumindest hatte sie das Nicolas gesagt.
Letztlich kam es darauf aber nicht an. Nicolas würde das schon noch einsehen.
Ein Techniker in weißem Kittel und mit Schutzhelm und Atemmaske näherte sich ihr. Er war ein Ingenieur vom Bergbauinstitut in St. Petersburg. »Wir sind bereit, die Steuervorrichtung und die Irisblende zu testen.«
Sie nickte. Nach dem Abschlusstest würde die Höhle geräumt werden. In den vergangenen zwei Tagen hatte sie dem Team Druck machen müssen, damit es den Zeitplan einhielt. Nicolas’ Operation sollte heute stattfinden und Sawinas Operation ursprünglich erst zwei Wochen später. Wegen Mapplethorpes Verrat hatten sie jedoch entschieden, beide Operationen auf denselben Tag zu legen. Sobald Nicolas’ Erfolgsmeldung vorlag, würde sie den Startbefehl geben.
»Gibt es irgendwelche Probleme?«, fragte sie den Ingenieur.
Wegen der Atemmaske klang seine Stimme gedämpft. »Wir haben das Diagnoseprogramm laufen lassen und die Ammoniumnitrat-Dieselöl-Konzentration überprüft. Außerdem haben wir mit Bodenradar den Abraum gescannt und sämtliche elektrischen Systeme überprüft. Wir warten nur noch auf Ihre
Anweisung, um die Baustelle zu räumen und die Blende zu öffnen. Wir werden jetzt die Zündung testen.«
»Ausgezeichnet.«
Sawina folgte dem Mann unter das Gerüst. Der beweglich montierte Bohrturm wurde bereits weggefahren. Zahlreiche Arbeiter waren auf dem beengten Raum tätig: im Turm, am Boden und mitten unter den Gerätschaften. Sawina blickte zur Rückseite der Höhle. Dort führte ein zwei Meter durchmessender Schacht steil nach oben. Darin befand sich ein stillstehendes Förderband. Aus den Schläuchen tropfte Wasser. Am etwa einen halben Kilometer entfernten Schachtende leuchteten Scheinwerfer. Kleine Gestalten bewegten sich in deren Licht wie Motten im Lampenschein. Das Sprengteam nahm eine letzte Überprüfung vor.
Sawina wusste die Gründlichkeit der Männer zu schätzen.
Man hatte über vierzig Bohrlöcher - so dick wie ihr Daumen und jeweils einen Meter tief - in das Schachtende gebohrt und
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