Sigma Force 05 - Das Messias-Gen
ihren leiblichen Sohn.
Sie würde alles Korrupte hinwegbrennen und eine neue Welt erschaffen.
»Generalmajorin? Gibt es noch etwas zu besprechen?«
Sie schüttelte den Kopf und beherrschte sich. »Ich habe genug gesehen.«
Der Ingenieur nickte und trat vor einen Stahlhebel an seinem Bildschirmarbeitsplatz. Der Hebel sah aus wie die überdimensionale Handbremse eines Autos. Er drückte den Arretierungsknopf, zog den Hebel hoch und schob ihn mit der Schulter nach hinten. Die Irisblende schloss sich vor Sawinas Füßen und versiegelte den Schacht. Es gab noch einiges zu tun. Die Arbeiter, die pausiert hatten, als das Silo sich öffnete, machten sich wieder an die Arbeit und schritten über die Blende hinweg, wie sie es schon seit zwei Jahren gewohnt waren, seit der erste Schacht gebohrt worden war.
Die Operation Saturn konnte beginnen.
Sawina wandte sich ab und ging zum Zug zurück. Sie hatte in Tscheljabinsk ebenfalls noch einige Vorbereitungen zu treffen. Sie sah auf ihre Armbanduhr. Nicolas würde in einer Stunde zur Feier in Tschernobyl fahren. Trotz seines übereilten Vorgehens in letzter Zeit hatte er alles unter Kontrolle. Die Systeme waren jedenfalls einsatzbereit und würden funktionieren. Alles war in Ordnung. Nichts konnte den Lauf der Dinge mehr aufhalten.
Als sie den Zug betrat und die Türen schloss, blickte sie zum Herzen der Operation zurück. Sie versuchte, sich die Millionen Menschen vorzustellen, die sterben würden, doch das war ein abstrakter Gedanke. Die Zahl war so groß, dass man sie nur als nüchternen statistischen Wert erfassen konnte. Sie blickte nach vorn, als sich der Zug in Bewegung setzte
und Richtung Tscheljabinsk-88 fuhr. Die Lehrer und Forscher bereiteten sich auf die Evakuierung vor. Die Festplatten der Computer wurden gelöscht, die Akten verbrannt. Auch die Kinder wurden vorbereitet - allerdings nicht auf die Evakuierung. Sie würden noch eine letzte Zugfahrt unternehmen.
Alle bis auf die zehn, die sie begleiten würden.
Sawina vergegenwärtigte sich die Gesichter der anderen Kinder. Vierundsechzig waren es insgesamt, darunter auch Säuglinge. Diese Zahl war zu klein, um nur eine abstrakte Größe darin zu sehen. Die meisten Kinder kannte sie mit Namen. Während der Zug im Dunkeln zum Bau zurückrumpelte, musste sie sich an der Wand abstützen. Ihre Knie zitterten, und eine Woge von Emotionen überkam sie. Sie wehrte sich nicht dagegen. Die Gefühle wallten hoch und schnürten ihr die Kehle zu. Ein paar heiße Tränen rannen ihr über die Wangen. In diesem Moment, da sie unbeobachtet war, ließ sie ihren Gefühlen freien Lauf. Sie nahm sich als Menschen wahr und gestattete sich einen kurzen Moment der Trauer.
Damit aber musste es gut sein.
Als der Zug langsamer wurde, wischte sie die Tränen ab und klopfte sich auf die Wangen. Sie atmete mehrmals tief durch. Es gab kein Zurück mehr.
Die Notwendigkeit war ein grausamer Lehrmeister.
Und sie würde ebenso grausam sein müssen.
9:32 Prypjat
NICOLAS STIEG MIT Jelena in die Limousine. Ein steter Strom von Fahrzeugen ergoss sich aus dem Zufahrtsbereich des Hotel Polissia. Politiker und Würdenträger wurden im
Shuttlebetrieb vorgefahren oder kamen mit ihren eigenen Eskorten. Seit Mitternacht hatten Nachrichtenteams aus aller Welt Kameras aufgestellt und die Übertragungswagen mit den Satellitenantennen in Stellung gebracht. Seit dem Morgen trudelten Prominente und Berühmtheiten ein, um sich interviewen und herumfahren zu lassen und einen Moment im Rampenlicht zu stehen.
In den nächsten Stunden würden die Augen der Welt auf der Versiegelung Tschernobyls ruhen, welche das alte nukleare Zeitalter mit einem Gipfeltreffen abschließen würde, das eine langfristige Lösung des Problems besiegeln sollte.
Nicolas aber verfolgte im Moment seine ganz eigene Agenda.
Als die Türen der Limousine sich schlossen, war er end - lich einmal mit Jelena allein. Er wandte sich ihr zu. »Es tut mir leid. Ich hätte dir eher von Sascha und Pjotr erzählen sollen.«
Jelena schüttelte leicht den Kopf. Sie war zornig. Seit der Befragung der Amerikaner hatte sie kein Wort mehr mit ihm gesprochen. Jetzt wandte sie sich ab und blickte aus dem Fenster. Sascha und Pjotr standen ihr besonders nahe. Dabei war mehr im Spiel als bloße Zuneigung. Sie hatte eine ganz persönliche Beziehung zu den beiden Kindern. Jelenas ältere Schwester Natascha war bei ihrer Geburt im Labor gestorben.
»Du kennst die Regeln, die im Bau gelten«, fuhr Nicolas fort,
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