Sigma Force 06 - Das Flammenzeichen
Deckel ab. Innerlich schreckte er zurück, denn er wusste nicht, was ihn erwartete.
Fluch oder Heilmittel?
Wallace leuchtete mit der Taschenlampe, als Gray den Krug neigte.
Ein schneeweißes Pulver rieselte heraus, so fein, dass es wie Wasser floss. Gray musste an die Legende vom heiligen Bernhard und das Wunder der Lactatio denken; die Schwarze Madonna hatte Milch geweint und ihn damit geheilt.
Gray wusste, was da auf seine Hand gerieselt war. »Das ist das Heilmittel«, sagte er im Brustton der Überzeugung. »Das ist der Schlüssel.«
Er schüttete das Pulver wieder in die Kanope und setzte den Deckel auf.
»Das sollten Sie sich mal ansehen«, sagte Seichan. Sie hatte unterdessen einen weiteren Glassarg geöffnet.
Die anderen gesellten sich zu ihr.
Seichan leuchtete ins Innere des gläsernen Sarkophags. Darin lag eine männliche Mumie, die mit einem weißen Kapuzengewand bekleidet war. Die Hände des Mannes waren ebenfalls gefaltet und umschlossen ein kleines, ledergebundenes Buch.
Seichan leuchtete das Gesicht des Mannes an. Er sah aus, als wäre er erst gestern verstorben. Die Haut war erschlafft, ansonsten aber makellos, die Lippen rot, die Augen wie im Schlummer geschlossen. Das braune Haar wirkte frisch gekämmt und war an der Stirn akkurat geschnitten.
»Er ist kein bisschen verwest«, sagte Seichan.
Rachel fasste sich an den Hals. »Es heißt, der Körper eines Heiligen sei unvergänglich und verwese nicht. Das muss der heilige Malachias sein«, sie blickte zum dritten Sarkophag, in dem sich ein weiterer Leichnam abzeichnete, »oder der heilige Bernhard.«
Wallace hatte seine eigenen Ansichten zur angeblich übernatürlichen Unzerstörbarkeit des Leichnams. Sein Blick wanderte vom Krug in Grays Hand zu den sterblichen Überresten.
»In Kanopen wurden nicht nur einbalsamierte Organe aufbewahrt. « Er wies mit dem Kinn auf den Krug. »Bisweilen finden sich darin auch Balsamierungsstoffe. Öle, Salben, Puder.«
Gray begriff, worauf der Professor hinauswollte. »Wenn der Schlüssel gegen eine Pilzkrankheit wirkt, muss das Pulver starke antifungielle und möglicherweise auch antibakterielle Eigenschaften haben.« Er betrachtete das Gesicht des Heiligen. »Pilze und Bakterien sind die Hauptverursacher des Verwesungsprozesses. Balsamiert man einen Leichnam mit einem solchen Mittel ein und versiegelt den Sarg, bleibt der Körper erhalten.«
Er musste daran denken, dass den Mönchen von der Insel Bardsey außergewöhnliche Gesundheit und Langlebigkeit nachgesagt wurde. Ein solch wirksames Heilmittel musste die Mönche vor den zahlreichen Krankheitserregern geschützt haben, welche die Menschen des Mittelalters geplagt hatten. Kein Wunder, dass die Insel als Hort der Heilkunst gegolten hatte.
Wallace’ Augen weiteten sich. »Dann ist der Schlüssel …«
»Ursprünglich muss es sich um einen Einbalsamierungsstoff
gehandelt haben. Vielleicht brachte ihn jemand von Ägypten mit oder entdeckte ihn im neu besiedelten Land. Der medizinische Nutzen muss den Mönchen in jedem Fall rasch klar geworden sein. In der damaligen Zeit muss ein solches Mittel wie ein Wunder erschienen sein.«
Wallace nickte. »Mit dem tödlichen Krankheitserreger kombiniert, stellte es eine äußerst wirkungsvolle Kombination dar. Biowaffe und Gegenmittel.«
»Und das Wissen wurde von den Ägyptern an die Kelten und von diesen an die frühen Christen weitergereicht. Die haben es unter Verschluss genommen und hier versteckt.«
»Aber es wurde nicht nur Wissen weitergereicht.« Wallace wandte sich dem Keltenkreuz zu. »Die Archäologen streiten schon lange darüber, wie die Ägypter es angestellt haben, ihre Pyramiden zu bauen und sie mit solcher Präzision auszurichten. Dabei müssen sie ein effizientes Messinstrument verwendet haben.«
Gray sah das Kreuz auf einmal mit anderen Augen. War das möglich?
Hinter ihm gab Rachel einen Laut des Erstaunens von sich. Sie war am Sarkophag stehen geblieben und beugte sich zusammen mit Seichan über den Leichnam. Sie hatten das Buch aufgeschlagen, das der Heilige in Händen gehalten hatte.
»Der Name«, sagte Seichan grimmig. »Mael Maedoc.«
»Der heilige Malachias«, bekräftigte Rachel. Sie blätterte im Buch. »Das ist sein Tagebuch. Seht nur die vielen Zahlen und die lateinischen Notizen …«
Sie blickte Gray an. »Das ist die ursprüngliche Papstprophezeiung. Von ihm persönlich verfasst.« Ihr Tonfall wurde schriller. »Aber da steht noch mehr drin! Seitenweise Eintragungen.
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