Sigma Force 06 - Das Flammenzeichen
mitgeteilt hatte.
»Direktor, vielleicht sollte Leutnant Verona Ihnen das persönlich berichten. Ich bin mir nicht sicher, was es bedeutet, doch es sollte berücksichtigt werden, und sei es auch nur aus Gründen der Vollständigkeit.«
»In Ordnung. Geben Sie sie mir.«
Gray ging zum Bett und reichte ihr das Handy. »Du solltest Painter das Gleiche erzählen wie mir.«
Sie nickte. Er blieb am Bettpfosten stehen. Nach dem Austausch von Nettigkeiten kam Rachel auf die Obsession des Priesters zu sprechen.
»Bevor in Rom das Chaos ausbrach«, sagte Rachel, »habe ich eine Liste der Publikationen und Abhandlungen Pater Giovannis angelegt, bis hin zu seiner Studentenzeit. Daraus ergibt sich, dass er auf einen speziellen Mythos des katholischen Glaubens fixiert war, nämlich auf die Jungfrau Maria in ihrer Verkörperung als Schwarze Madonna.«
Gray lauschte der Unterhaltung mit halbem Ohr. Er war mit dem Thema vertraut, denn vor seinem Eintritt bei Sigma hatte er vergleichende Religionswissenschaften studiert und kannte die Geschichte und die Mysterien des Kultes der Schwarzen Madonna. Von den Anfängen des Christentums an waren im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Statuen und Gemälde aufgetaucht, welche die Muttergottes mit dunkler oder schwarzer Haut darstellten. Sie genossen hohe Wertschätzung und waren Gegenstand inbrünstiger Verehrung. Derzeit gab es in Europa über vierhundert solcher Darstellungen, darunter einige aus dem elften Jahrhundert. Viele davon wurden noch immer verehrt: die Schwarze Madonna von Tschenstochau, die Madonna von Einsiedeln in der Schweiz, die Jungfrau von Guadalupe in Mexiko. Diese Liste ließ sich fast beliebig fortsetzen.
Trotz der anhaltenden Verehrung waren diese einzigartigen Madonnen Gegenstand einer Kontroverse. Während manche ihnen Wunderkräfte zuschrieben, führten andere die Hautfarbe auf Kerzenruß oder eine altersbedingte Verfärbung des Holz-oder Marmoruntergrunds zurück. Die katholische Kirche vermied es, diesen Darstellungen spirituelle Kräfte oder auch nur eine besondere Bedeutung zuzusprechen.
Rachel ließ sich weiter über die Obsession des Paters aus. »Marco war überzeugt, die keltische Christenheit habe ihr Fundament auf der Schwarzen Madonna errichtet, welche die Verschmelzung der heidnischen Erdmutter mit der Jungfrau Maria darstelle. Die Suche nach Belegen für den Ursprung des Mythos hat im Mittelpunkt seiner Forschungstätigkeit gestanden.«
Rachel hielt inne, als Painter eine Zwischenfrage stellte, dann antwortete sie: »Ich weiß nicht, ob er das Rätsel je gelöst hat. Aber jedenfalls hat er eine Entdeckung gemacht, die ihn das Leben gekostet hat.«
Rachel lauschte erneut, dann sagte sie: »Gut. Einverstanden. Ich gebe Ihnen wieder Commander Pierce.«
Gray nahm das Handy entgegen, hielt es sich ans Ohr und trat wieder vors Fenster. »Sir?«
»Vor dem Hintergrund von Rachels Ausführungen dürfte die weitere Vorgehensweise wohl klar sein.«
Gray glaubte, die Antwort zu kennen. »Wir schauen uns die Ausgrabungsstätte in England an.«
»Genau. Ich weiß nicht, in welcher Beziehung die Morde in Afrika und Princeton zu Pater Giovannis Forschungen stehen, doch irgendeine Verbindung muss es geben. Ich verfolge in Oslo die Genetik-Fährte weiter – Sie finden heraus, was es mit dem mumifizierten Finger auf sich hat.«
»Jawohl, Sir.«
»Benötigen Sie für diesen Einsatz weiteres Personal? Oder reichen Ihnen Joseph Kowalski und Leutnant Verona aus?«
»Ich glaube, je unauffälliger wir vorgehen, desto besser.«
Er konnte nicht verhindern, dass seine Stimme gepresst klang. Es gab etwas, das er Painter Crowe bislang verheimlicht hatte. Gray blickte in den Garten hinaus, wo eine Zigarette glomm. Er hinterging den Direktor nur ungern, doch wenn er die Sigma-Zentrale von ihrer neuen Verbündeten unterrichtet hätte, wäre Painter nichts anderes übrig geblieben, als eine Eingreiftruppe herzuschicken und Seichan in ein Verhörlager zu bringen.
Das durfte Gray nicht zulassen.
Trotzdem zögerte er.
War seine Entscheidung richtig? Oder gefährdete er überflüssigerweise den ganzen Einsatz?
Als Gray sich vom Fenster abwandte, stellte er fest, dass Rachel ihn beobachtet hatte. In ihren Augen stand zu lesen, dass er mit seiner Entscheidung nicht nur sein eigenes Leben in Gefahr brachte. Außerdem musste er an eine aus verzweifelter Hoffnung geborene Bitte denken, die Seichan vor zwei Jahren an ihn gerichtet hatte.
Vertrauen Sie mir, Gray. Und sei
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