Signal: Roman (German Edition)
sie war nicht aggressiv. Inzwischen hausten weitaus gefährlichere Spinnenarten im Flachland ihres Heimatgebiets im Südosten von Nordamerika, die aus Südamerika eingewandert waren. Fasziniert beobachtete sie die Bewegung der blassen Spinne, bis diese im Schatten unter dem Überhang verschwunden war. Als nachtaktive Jägerin würde sie wohl kaum zurückkehren und sie erneut belästigen. Ingrid drehte sich um und lächelte ihrem noch immer zitternden Partner beruhigend zu.
»Das war nur eine weiße Spinne. Sie wird dir nichts tun.« Sie kuschelte sich wieder unter ihre Decke. »Schlaf weiter.«
Er zögerte. Nachdem er einige Minuten lang angestrengt in ihre Richtung gestarrt hatte, die sich schnell bewegende und jetzt verschwundene Spinne jedoch nicht mehr entdecken konnte, kehrte er schließlich unter seine Schlafdecke zurück und legte sich langsam und merklich widerwillig wieder hin.
»Du hast leicht reden. Über dein Gesicht ist sie ja auch nicht gelaufen. Was hättest du gemacht, wenn es ein gefährlicheres Tier gewesen wäre?«
»Dann hätte ich geschrien.« Sie drehte sich auf die Seite. »Ich habe auf meinem Biochirurgentisch schon weitaus Schlimmeres gesehen.«
Whispr murmelte leise: »Weiße Spinnen. Schwarze Mambas. Was kommt als Nächstes, grüne Skorpione?«
Sie antwortete nicht. In Ermangelung anderer Mitleidsbekundungen beklagte er seine Situation weiter leise, während er die Augen schloss. Warum war er hier, auf der anderen Seite des Planeten, lief durch die Wüste und hatte seinen sicheren Tod vor Augen, wo er doch zu Hause in Savannah sein konnte, um Touristen auszurauben und Klatsch und Tratsch mit seinen Freunden auszutauschen?
Die Antwort hatte sich ebenso wenig geändert wie die Frage. Weil er »zu Hause« keine Aussichten mehr hatte, keine Zukunft und keine Freunde. Weil dort die Polizei nach ihm suchte. Weil er sich für das Risiko entschieden hatte in der Hoffnung, am Ende des Regenbogens den Topf voller Gold zu finden, wenngleich ihn dieser doch vermutlich eher in die Hölle führen würde. Und weil er sehr viel, zu viel für diese Natural-Frau empfand, die so weit über ihm stand, dass er sich nie im Leben Chancen bei ihr ausrechnen konnte.
Bei jedem Windhauch riss er erneut die Augen auf. Jede eingebildete Berührung, jeder vermeintliche Kontakt, jedeskriechende Gefühl bewirkte, dass er an seinem Körper heruntersah oder seine Decke ausschlug. Es war mitten in der Nacht, aber er wusste, dass er nicht mehr einschlafen konnte. Keine Tabletten, kein Singsang, nichts würde die Erinnerung an die geisterhafte Gestalt, die sich methodisch über sein eckiges Gesicht vorgearbeitet hatte, verschwinden lassen. Er erschauderte, als er sich daran erinnerte.
Zehn Minuten später schlief er tief und fest.
*
Als er erneut eine Berührung spürte, hielt er still. Blinzelnd nahm er zur Kenntnis, dass die Sonne schon fast ganz aufgegangen war. Dieses Mal würde er nicht in Panik geraten. Er würde nicht wieder schreien, selbst wenn ein hungriger Leopard an seiner Hüfte nagte. Was immer gerade passierte, so erkannte er schnell, dass es sich nicht um die zarte Berührung einer kleinen Spinne handelte. Während er zunehmend wacher wurde, begriff er auf einmal, dass jemand versuchte, seine Hände hinter seinem Rücken zu fesseln.
Sie wurden von einem Tier ganz anderer Art angegriffen.
Er zappelte und bemerkte, dass Ingrid ganz in der Nähe auf ihrer Decke anstatt darunter lag. Sie war an den Hand- und Fußgelenken gefesselt und hatte einen Klebestreifen über dem Mund. In ihren Augen spiegelte sich ihre Angst wider. Er rang mit seinem Angreifer, den er noch immer nicht sehen konnte, und ihm schoss ein Gedanke durch den Kopf, der sein Blut gefrieren ließ.
Molé hatte sie gefunden.
Wenn es dem älteren Attentäter gelang, Whispr ebenfalls zu fesseln, dann waren er und die Ärztin dem Tod geweiht. Dereinzige Unterschied dazu, von einer Klippe zu stürzen, war, dass sich Molé mit ihnen Zeit lassen würde, sobald sie erst einmal entsprechend bewegungsunfähig waren. Der Attentäter war das personifizierte Böse. Whispr wusste, dass er sich wehren, dass er sich befreien musste. Aber obwohl er weitaus kräftiger war, als es den Anschein machte, war er demjenigen, der ihn soeben fesseln wollte, nicht gewachsen. Noch während er gegen Molé ankämpfte, wurde ihm klar, dass die Parameter seines verzweifelten Kampfes nicht stimmten. Ja, Molé war kräftig und zäh, aber er war nicht groß. Das Gewicht,
Weitere Kostenlose Bücher