Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Signum - Die verratenen Adler

Signum - Die verratenen Adler

Titel: Signum - Die verratenen Adler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Roemling
Vom Netzwerk:
verwinkelten Gassen und verschachtelten Häuser erstreckten sich bis zum Horizont und verschmolzen zu einer ziegelroten Masse mit einzelnen helleren Tupfern. Links krallte sich der Jupitertempel in den höchsten Punkt des Kapitols wie ein Raubtier in seine viel zu große Beute. Weiter unten zog sich das in der Abendsonne silbrig schimmernde Band des Tibers hin. Mitten im Fluss lag eine Insel, die mit einer steinernen Verkleidung in die Form eines riesigen Schiffes gebracht worden war. Brückenbögen übersprangen scheinbar spielerisch den Fluss. Hinter ihnen war, durch die scharf abknickende Kuppe des Palatin unsichtbar gemacht, der Circus Maximus, wo Caius sich unzählige Male mit seinenFreunden bei den wilden Wagenrennen die Seele aus dem Leib geschrien hatte. Aus dem Häusermeer wogten die Geräusche der mit Menschen vollgestopften Stadt als gedämpftes Raunen hinauf: Abertausende von Stimmen, Geschrei, Hufgeklapper, das Hämmern und Sägen von den Baustellen, das Rauschen und Plätschern der Brunnen – ein unwirkliches Schauspiel, überwölbt vom schwerelosen blauen Himmel, der am Horizont von einem rosafarbenen Streifen gesäumt wurde. Obwohl er das alles aus diesem Blickwinkel noch nie gesehen hatte, fühlte Caius eine tiefe Vertrautheit mit seiner Stadt.
    Augustus war dicht hinter ihn getreten und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Wenn ich nachdenken muss, komme ich um diese Zeit hierher. Der Anblick erinnert mich daran, wem ich verpflichtet bin.«
    Caius sagte nichts. Ihm war nicht klar, was der Princeps meinte. Sprach er von der Stadt und ihren Menschen? Sprach er von den Göttern, deren Tempel man überall aus dem wirren Gewoge von Bauten und Straßen ragen sah und von denen man immer mehr entdeckte, je länger man den Blick über die Stadt schweifen ließ?
    Â»Als ich ankam, habe ich eine Stadt aus Ziegeln vorgefunden«, fuhr Augustus fort. »Und wenn ich für immer gehe, lasse ich eine Stadt aus Marmor zurück. Manchmal frage ich mich, ob ich ihr damit einen Gefallen getan habe. Sie will immer mehr.« Der Princeps machte eine Pause und trat neben ihn. »Du wolltest vorhin etwas sagen. Wir sind unterbrochen worden, als Rullianus kam.«
    Caius wusste sofort, wovon der Princeps sprach. Er überlegte kurz, dann sagte er: »Wenn wir eine Provinz Germanien brauchen, um die Grenze zu Gallien zu sichern, dann werden wir bald eine neue Provinz brauchen, um die Grenze zu Germanien zu sichern. Und immer so weiter.«
    Â»Und immer so weiter«, wiederholte Augustus nachdenklich. »Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Das ist der Fluch des Erfolgs. Immer weiter, immer mehr. Wer sich ans Erobern gewöhnt, kann nicht mehr aufhören. Ich habe schon vor Jahren gesagt, dass das Imperium gesättigt ist. Aber die Leute, die es aufgebaut haben, sind es nicht.« Augustus blickte Caius aufmerksam in die Augen. »Sie wollen immer mehr. Das ist die Gier, von der ich sprach, die Gier, die alles vorantreibt. Germanien ist eine arme Provinz, aber warte zehn Jahre, bis das Land vermessen und gerodet und nach unseren Methoden bebaut ist, bis Minen in die Berge getrieben sind und Handelsstraßen für Bernstein und Pelze und Sklaven das Land durchziehen. Und wenn das geschafft ist, werden sie dann zufrieden sein? Nein, sie werden ihre begehrlichen Blicke weiter nach Osten richten, weil es dort vielleicht noch mehr zu holen gibt. Und wenn sie irgendwann ans Meer stoßen oder an ein unüberwindliches Gebirge oder an ein Land, in dem wirklich Barbaren wohnen, die sich nicht zähmen lassen – dann werden sie übereinander herfallen.«
    Â»Warum bist du da so sicher?«, wagte Caius zu fragen.
    Â»Weil ich selbst einer von diesen Leuten war. Ich war rastlos und ehrgeizig und gierig nach Geld, Macht und Triumphen.«Augustus sprach langsam und mit vielen Pausen. »Als ich zum ersten Mal mit der Purpurtoga auf dem Triumphwagen stand, umregnet von Blüten, umjubelt von meinen Anhängern und beneidet von meinen Gegnern, da war ich in Gedanken schon wieder ganz woanders. Die Leute denken, man genießt diesen Augenblick. In Wahrheit kann man nichts mehr genießen. Und so ist es mit allem. Man steckt sich immer höhere Ziele und merkt irgendwann, dass man immer unzufriedener wird, je mehr man erreicht. Und dann hat man die Wahl: Entweder man bleibt für den Rest seines Lebens unzufrieden und rastlos oder man setzt

Weitere Kostenlose Bücher