Signum - Die verratenen Adler
sich selbst Grenzen und fügt sich in seine Aufgaben.« Augustus blickte in die Ferne. »Es klingt beinahe lächerlich, wenn ausgerechnet ich so etwas sage. Aber es gilt für alle.« Er machte eine sehr lange Pause. »Germanien wird meine letzte Aufgabe«, sagte er. »Wenn ich sie nicht erfolgreich beende, könnte alles, was ich aufgebaut habe, nach meinem Tod zusammenbrechen. Ohne diesen Erfolg ist meine Nachfolge gefährdet. Tiberius hat viele Gegner.« Augustus ging ein paar Schritte zum Geländer, drehte sich um, lehnte sich mit dem Rücken dagegen und blickte Caius in die Augen. »Warum erzähle ich dir das alles?«, fragte er. »Wahrscheinlich, weil du mich an meinen Enkel Lucius erinnerst. Du redest wie er. Du bewegst dich wie er. Du hast alles noch vor dir, so wie ich dachte, dass auch er noch alles vor sich hat. Dann ist er gestorben. Und dann sein Bruder. Ich habe meine eigenen Erben überlebt.« Der Princeps lächelte bitter. »Wasich dir sagen wollte, ist Folgendes«, flüsterte er und trat wieder auf Caius zu. »Geh mit deinem Vater nach Germanien. Ich brauche Leute wie deinen Vater. Und Tiberius wird Leute wie dich brauchen. Dein Vater ist ein Mann, für den nichts selbstverständlich ist, und Germanien ist ein Land, in dem nichts selbstverständlich ist. In dieser Provinz, die von allen verachtet wird, kannst du mehr lernen als in Syrien oder Ãgypten. Dort werden sie dich anstecken mit ihrer Eitelkeit, ihrer Voreingenommenheit und ihrem Ãberfluss. In Germanien aber wirst du lernen, wie man aus dem Nichts etwas aufbaut. Und ich fürchte, unser Staat wird schon sehr bald wieder Leute brauchen, die das können.«
Caius war überrumpelt und beeindruckt. Dass der Princeps ihm seine innersten Gedanken offenbart hatte, schmeichelte und verunsicherte ihn gleichermaÃen, wie auch das vielleicht bevorstehende Abenteuer reizvoll und unheimlich zugleich war. Vor seinem inneren Auge sah die geschmeichelte Seite von ihm sich unwillkürlich zusammen mit seinem Vater im Land dieser Barbaren für Ordnung sorgen. Gleichzeitig meldete die verunsicherte Seite Bedenken an. Gab es in Rom nicht noch genug Aufgaben für ihn? Würde sein Vater überhaupt einverstanden sein?
»Ich werde mit deinem Vater reden«, sagte der Princeps. »Ich werde dafür sorgen, dass er dich mitnimmt â wenn du willst.« Er ging wieder ein paar Schritte zum Geländer. In der Stadt sah man den ersten Fackelschein an denFassaden lodern, obwohl es noch lange nicht dunkel war. »Denk darüber nach«, sagte Augustus lächelnd. »Und jetzt sollten wir zum Essen gehen. Die anderen warten schon.« Augustus drehte sich um und verlieà schnellen Schrittes die Terrasse.
5
Die Entscheidung war schnell gefallen: Caius sollte mit seinem Vater reisen. Quintus war nicht nur einverstanden mit der Idee des Princeps, sondern befürwortete den Plan auch seiner Frau Tullia gegenüber so entschieden, dass sie sich schlieÃlich selbst mit dem Gedanken anfreundete, mit Caiusâ jüngerer Schwester Cornelia nachzukommen. Quintus versprach ihr, bis zum nächsten Frühjahr ein Haus mit allem Komfort in der neuen Provinzhauptstadt am Rhein bauen zu lassen, und malte ihr das Leben dort in den schillerndsten Farben aus. Dabei half ihm der Umstand, dass Tullia in Umbrien auf dem Land aufgewachsen war und sich mit der GroÃstadt nie so ganz hatte anfreunden können. Dementsprechend wählte Quintus seine Argumente aus, mit denen er mehr zu überzeugen als zu überreden versuchte: weniger Lärm, weniger Gestank, weniger verstopfte StraÃen, weniger Hitze im Sommer, und vor allem mehr Ruhe statt der ständigen gesellschaftlichen Verpflichtungen mit inhaltslosem Geplauder und intrigantem Geschwätz, das Tullia in Romall die Jahre hindurch nur ihrem Mann zuliebe hatte über sich ergehen lassen. Am schwierigsten war es für Cornelia, die in ihrem dreizehnjährigen Leben nichts anderes als Rom kennengelernt hatte und den Gedanken unerträglich fand, sich auf unbestimmte Zeit von ihren Freundinnen verabschieden zu müssen. Caius, der seine kleine Schwester über alles liebte, redete tagelang ohne groÃen Erfolg auf sie ein. Ansonsten waren die zwei Wochen nach dem denkwürdigen Zusammentreffen mit dem Princeps von fieberhaften Reisevorkehrungen geprägt. Während Sklaven damit beschäftigt waren, Besorgungen zu machen
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