Silber

die beiden anderen?“
    „Das ist die Nachricht aus Rom.“ Lethe spielte eine neue Aufnahme ab. Es war eine männliche Stimme, die angespannt und spröde klang. Es war nicht die Stimme eines Mannes, der sterben wollte. Das war kein religiöser Fanatiker oder ein verrückter Zelot, der sich selbst für einen heiligen Zweck opfern wollte. Nicht die geringste Spur von Resignation war zu hören. Es war ein ganz gewöhnlicher Mann, der gegen jede Vernunft hoffte, dass es noch Rettung gab.
„Hoher Priester von Rom, hüte Dich davor, Dich der Stadt zu nähern, die von zwei Flüssen durchflossen wird. Dein Blut wirst du dort ausspeien, Deines und das der Deinen, wenn die Rose erblüht
.“ Und dann, nach fast dreißig Sekunden Stille,
„Sagt Isla, dass ich sie liebe. Bitte, sagt es ihr.“
    Jude Lethe spielte gleich im Anschluss die zweite Nachricht ab. Für Fragen war später noch genug Zeit. „Diesen Anruf hat die Nachrichten-Redaktion der ARD in Deutschland erhalten.“ Wieder war es die Stimme eines Mannes, doch diese klang viel gefasster als die zuvor. Der Mann sprach langsam und ruhig, als ob er etwas rezitieren würde. Jedes einzelne Wort war klar artikuliert:
„Der Heilige Vater ging durch eine große Stadt, die halb zerstört lag. Halb zitternd mit wankendem Schritt, von Schmerz und Sorge gedrückt, betete er für die Seelen der Leichen, denen er auf seinem Weg begegnete. Am Berge angekommen, kniete er zu Füßen des großen Kreuzes nieder. Dort aber fand ihn eine Gruppe von Soldaten, und sie töteten ihn.“
    „Die erste Nachricht ist die Quatrain 2.97 aus den Prophezeiungen des Nostradamus, die zweite ist ein Auszug aus dem dritten Geheimnis von Fátima. Bei beiden nimmt man an, dass sie die Ermordung des Papstes zum Inhalt haben“, erklärte der Alte.
    „Okay, wir sprechen also von einer durchgeknallten Sekte und einer guten Portion Aberglauben, hab ich das soweit richtig verstanden?“, fragte Noah. Das machte die Logistik eines solchen Massenselbstmords zwar nicht einfacher, aber Fanatismus würde zumindest einiges davon erklären. Er rieb sich die Bartstoppeln an seinem Kinn. Nein, das passte nicht mit der Stimme des ersten Mannes zusammen, und auch nicht mit seiner Bitte, seiner Frau zu sagen, dass er sie liebte. So etwas lag Fanatikern nicht in den Genen. Sie waren viel zu verblendet von der Rechtschaffenheit ihres Tuns, als dass sie sich um einen so weltlichen Mist wie ihre Hinterbliebenen kümmern würden.
    „Ich wünschte, es wäre so. Das, womit wir es hier zu tun haben, hat System und ist sehr gut durchdacht. Man lässt nicht einfach dreizehn Menschen verbrennen, noch dazu mit solch militärischer Präzision, ohne alle Eventualitäten eingeplant zu haben. Das ist ein öffentlich geführter Eröffnungszug, Noah. Es sollte gesehen werden, und das kann nur einen Grund haben – wer auch immer dahinter steckt, wollte, dass es gesehen wird“, sagte Sir Charles. Er veränderte die Darstellung auf den Monitoren, die Fotos aus den Pässen der Selbstmörder wurden angezeigt. Noah mochte nur die wenigsten Passbilder, und er hatte auch hier den Eindruck, dass die Personen auf ihren Passfotos unmenschlicher aussahen als auf den Bildern, wo die Flammen bereits ihre Gesichter verbrannt hatten. „Unter diesem Aspekt, fahren Sie bitte fort, Mister Lethe.“
    Jude Lethe bearbeitete den Touchscreen und brachte eine Reihe neuer Bilder zum Vorschein. Es waren Urlaubsfotos, ausgeschnittene Zeitungsartikel und Schnappschüsse darunter. „Nachdem ich herausgefunden hatte, dass alle dreizehn Opfer britische Staatsbürger waren, war mein erster Gedanke nicht nur, dass mir dieser Zufall nicht gefallen wollte, ich habe es schlichtweg nicht geglaubt. Dreizehn Menschen begehen auf identische Weise in dreizehn Ländern Selbstmord, und zufälligerweise stammen sie alle aus Großbritannien. Es musste einfach eine Verbindung geben. Also habe ich mich auf die Suche nach dieser Verbindung gemacht.“
    „Klingt logisch“, stimmte Noah zu. „Ich nehme an, du hast eine gefunden?“
    „Natürlich“, sagte Lethe ohne einen Hauch von Überheblichkeit. „Unsere Opfer waren alle Akademiker, genauer gesagt beschäftigten sie sich alle auf die eine oder andere Weise mit der Archäologie. Einer von ihnen war Universitätsprofessor in Durham und leitete dort den Fachbereich Geschichte. Der nächste hat bei dieser Fernsehsendung gearbeitet, in der sie alte Ruinen ausgraben und versuchen, Geschichte sexy zu machen, dann hätten wir