Silber
könnte? Und wenn das stimmte, warum sollte sie dann nicht auch ein Dokument unter Verschluss halten, das sich als gefährlich für die Grundfesten des katholischen Glaubens herausstellen konnte?
Noah schwirrte der Kopf von diesen Gedanken.
Das Einzige, was er mit Sicherheit sagen konnte, war, dass Nick Simmonds bei der Ausgrabung in Masada dabei gewesen war. Dort war auch das Zeugnis entdeckt worden, und Simmonds war dem Schriftstück zwei Jahre später hierher in den Vatikanstaat gefolgt. Das machte aus der gegebenen Situation eine heiße Spur. Alles andere war nebensächlich.
„Hier wären wir“, sagte Abandonato. „Wenn ich sonst noch etwas für Sie tun kann, brauchen Sie mich nur danach zu fragen.“
„Ich würde wirklich zu gern wissen, was genau in diesem Zeugnis steht“, sagte er, obwohl er wusste, dass er damit Unmögliches von dem Priester verlangte.
Ein Schweizergardist stand Wache an der Ausgangspforte. Er trug eine einfache, blaue Dienstuniform, zu der ein breiter weißer Kragen, schwarze Kniestrümpfe und ein brauner Ledergürtel gehörten. Auf dem Kopf hatte er ein schwarzes Barett, das ein Stück nach rechts gerückt war. Die schlichte Uniform wies ihn als einen der neuen Rekruten in der Garde aus. Das schlichte Blau war längst nicht so pompös wie der abenteuerliche Mix aus Rot, Gelb, Orange und Blau, in dem die Paradeuniform gehalten war. Wenn er auf der anderen Seite der Tür postiert gewesen wäre, hätte er natürlich genau das getragen – zusammen mit einem Zeremonienschwert und einer Hellebarde, als ob er direkt dem Rom der Renaissance entsprungen wäre. Der Wachposten blickte so teilnahmslos drein, dass es schon beinahe weinerlich wirkte.
Abandonato blieb ihm die Antwort schuldig. Stattdessen öffnete er ihm die Tür.
Der Wächter nickte dem Priester kurz zu und trat dann zur Seite, um Noah durchzulassen.
Noah wusste selbst noch nicht genau, was er sah, als seine Instinkte schon die Kontrolle über sein Handeln übernahmen.
Die Tür führte auf den Petersplatz hinaus, ein Stück weit entfernt von den beiden trockenen Brunnen. Noah hatte damit gerechnet, sich wieder in dem kleinen Seitenkorridor vorzufinden, durch den er die Vatikanstadt betreten hatte. Diese Tür öffnete sich allerdings direkt auf den Petersplatz. Er bemerkte die lange Touristenschlange, die sich vor dem Petersdom gesammelt hatte, aber seine Aufmerksamkeit galt etwas anderem.
Noah hatte die Augen fest auf einen Mann geheftet, der durch den Schatten des großen Obelisken wankte. Der Mann trug einen viel zu weiten Regenmantel, der nicht im Geringsten zur Witterung passte. Der Mantel war vorn offen, der Körper darunter schien unproportional ausgebuchtet zu sein. In der rechten Hand hielt er etwas umklammert. Noah konnte nicht erkennen, was es war, aber etwas an dem merkwürdigen Gang des Mannes löste in Noahs Kopf gleich eine ganze Batterie von Alarmglocken aus. Der Mann streckte die Rechte weit von seinem Körper fort, als ob der Gegenstand darin kontaminiert wäre. Noah erblickte das C4, das der Mann unter dem Mantel verborgen hatte, noch bevor er die Angst in dessen Gesicht sah. Die Päckchen mit dem Plastiksprengstoff waren mit Panzerklebeband an seinem Körper befestigt. Noah konnte von seinem Standort aus die Kabel nicht sehen, aber er wusste, dass der Gegenstand in der Hand des Mannes ein Zünder war. Er zögerte keine Sekunde. Er konnte nicht warten, bis die Soldaten der Schweizergarde eingriffen, und er wusste nicht einmal, ob sie überhaupt in der Lage waren, einen Selbstmordattentäter aus dem Verkehr zu ziehen.
Er trat auf den Platz hinaus. Die Sonne brach plötzlich durch die Wolken und strahlte nach dem Zwielicht in den endlosen Korridoren der Vatikanstadt grausam hell vom Himmel herab.
„Auf die Knie. Sofort
runter
!“, schrie Noah, während er die Heckler & Koch USP zog und genau auf die Brust des Selbstmordbombers zielte. Sein Körper hatte sich leicht angespannt, er war bereit für den Schuss. Er konnte es sich nicht leisten, lange nachzudenken – nicht mit mehreren Hundert Menschen auf dem Platz, die in einer langen Schlange vor dem Eingang zum Petersdom standen. Der unförmigen Silhouette des Mannes nach zu urteilen hatte er genug C4 bei sich, um eine gewaltige Schweinerei zu veranstalten. Ein Leben für viele; es war nicht einmal eine Frage.
Der Mann stolperte einen weiteren Schritt vorwärts.
Und noch einen.
Die Menschen auf dem Platz begannen, ihre Köpfe zu drehen, durch Noahs
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