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Silber

Titel: Silber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Savile
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ertragen, wie durchdringend er sie anstarrte. Sie bewegte die Lippen, als ob sie etwas sagen wollte. Er würde hören wollen, was sie sagte. Sie wusste, dass er es hören wollte. Das war der Grund, warum sie keine Worte sagte. Sie wollte nur, dass er näher herankam.
    Er kehrte ihr den Rücken zu und entfernte sich, dabei verhöhnte er sie. Sie zählte seine Schritte. Sechs. Die magische Zahl war Acht. Acht Schritte würden ihn zu dem Haken an der Wand führen, an dem die Kette befestigt war. Acht Schritte hießen, dass er glaubte, die Kontrolle über sie zu haben.
    Er kam zu ihr zurück und schlug ihr wieder hart ins Gesicht.
    Ihr Schmerz veranlasste ihn zu einem Lächeln.
    „Mach mich nicht wütend, Orla“, sagte Sokol. Sie hasste den Klang seiner Stimme. Sie beendete den Satz in ihrem Kopf:
Ich könnte sehr böse werden, wenn ich wütend bin
. Sie lachte nicht darüber. Sie wollte nicht, dass er glaubte, sie würde ihn auslachen. Sokol sollte denken, dass er sie gebrochen hatte. Darauf richtete sie ihre ganze Konzentration. Sie hatte schon einmal überlebt. Sie hatte schon Schlimmeres überlebt. Sie würde auch das hier überleben.
    Uzzi Sokol hingegen würde es nicht überleben.
    Dieses Versprechen hatte sie sich selbst gegeben.
    Er drehte sich von ihr weg. Er ging fort. Sieben Schritte. Sie zählte jeden einzelnen, und hoffte inständig, dass er noch den achten Schritt machen würde, sie hoffte, dass er die Kette um hundertzwanzig Zentimeter lockern würde. Hundertzwanzig Zentimeter bedeuteten, dass sie überleben würde.
    Doch er tat es nicht. Langsam kam er wieder zu ihr zurück, dann führte er den Lauf der Jericho von ihrer Wange die pochende Schlagader an ihren Hals hinab, dann über das Schlüsselbein und tiefer hinunter um die Ausbuchtung ihrer Brüste herum. Das Metall war kalt.
    „Warum tun Sie das?“, fragte sie, es war kaum ein Flüstern.
    Sokols Hand blieb stehen. Er sah sie an, als ob er vergessen hätte, dass sie sprechen konnte. „Weil ich es kann“, antwortete er. So einfach war das. „Weil in ein paar Minuten die anderen zu uns stoßen werden. Sie werden dich in die Mitte des Raumes zerren, und sie werden dir mit einem Schwert den Kopf abtrennen, während die ganze Welt über das Internet zusieht. Bis dahin bist du noch wunderschön. Und wenn ich dir deine letzten Minuten auf Erden vergnüglich gestalte, was ist dagegen einzuwenden?“
    Sie verspürte den starken Drang, ihm die Augen aus dem Schädel zu reißen. Doch stattdessen sagte sie nur: „Danke.“
    Damit hatte er nicht gerechnet. Er hielt es für den ultimativen Akt der Unterwerfung. Sie gab sich ihm hin. Er küsste sie daraufhin auf das weiche Grübchen zwischen ihrer Kehle und ihrem Körper, und es war fast ein zärtlicher Kuss. Sie schloss die Augen. Sie tat so, als ob sie sich in die Ketten sinken lassen würde. Er spürte die Bewegung und berührte sie wieder, wie ein Liebhaber es getan hätte. Es kostete sie all ihren Willen, nicht nach vorn zu springen und ihm die Kehle mit den Zähnen herauszureißen. Das konnte sie nicht. Nicht, solange ihre Hände noch über ihrem Kopf gefesselt waren. Sie musste ihre Arme bewegen können.
    Uzzi Sokol berührte ihren Bauch, er drückte mit der Handfläche gegen die festen Muskeln dort. Es war eine widerwärtig intime Geste, auf ihre Art schlimmer als all die anderen Übergriffe, weil sie so zärtlich ausgeführt war. Die brutale Art war ihr lieber, weil sie es ihr leichter machte, ihn zu hassen. Stumm erduldete sie die Berührung. Er hatte gesagt, dass die anderen bald kommen würden; also hieß es jetzt oder nie, und ‚nie‘ war keine gültige Option.
    Sie bog den Rücken durch, kam nach vorn und presste ihren Körper gegen seinen. Sie lehnte sich nach vorn, auf den Lippen schmeckte sie das Salz der Leidenschaft auf seiner Haut.
    Er zog sich in die Finsternis der Zelle zurück.
    Es gefiel ihm nicht, wenn er die Kontrolle verlor. Er wollte nicht, dass sie bei ihrem Tanz führte, auch wenn sie in Ketten lag. Er wollte jede Drehung und jedes Zittern ihres Körpers orchestrieren, weil das seinen kranken Vorstellungen entsprach. Er entfernte sich von ihr, fünf, sechs, sieben, acht Schritte. Sie spürte, wie die Kette gelockert wurde. Ihre Arme fielen seitlich an ihr herab. Sie konnte fast augenblicklich fühlen, wie sich ihr Kreislauf stabilisierte. Es wirkte wie eine Droge. Sie schloss die Augen. Sie hatte eine Chance, aber sie musste ruhig bleiben. Wenn irgendetwas schief ging – wenn

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