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Silber

Titel: Silber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Savile
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rüttelte sie an den Brettern vor den Fenstern. Sie fühlten sich brüchig und morsch an. Orla sah sich in dem kleinen Geschäft nach etwas um, das sie als Werkzeug benutzen konnte. An der Kasse standen drei alte Einkaufswagen. Sie waren verbeult und verbogen, wo die Hitze der Explosion sie beschädigt hatte, aber für ihren Zweck würden sie völlig ausreichend sein. Orla schaffte es, einen der Wagen aus den anderen herauszuzerren. Die Räder waren eingeknickt und wollten sich nicht mehr drehen. Es war egal. Sie zog den Wagen ein Stück zurück, um genug Anlauf vor dem zugenagelten Fenster zu haben, dann warf sie sich dagegen und rannte mit ganzer Kraft nach vorn. Den Einkaufswagen schob sie wie einen Rammbock vor sich her.
    Der Wagen traf auf die Bretter und bewegte sich durch sie hindurch, als sie weiterrannte.
    Sie hörte einen Schrei.
    In ihrem Kopf klang er wie von einer wahnsinnigen Todesfee.
    Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, dass es ihr eigener Schrei war.
    Die Bretter barsten, und das Tageslicht strömte herein.
    Mit gesenktem Kopf wankte Orla auf die Straße, Tränen liefen ihre Wangen hinab.
    Sie atmete die heiße Morgenluft ein.
    Sie war am Leben.
    Sokol war tot.
    Das war alles, worauf es ankam.
    Barfuß stolperte sie zum Straßenrand. Sie wollte sich so weit wie möglich von diesem Ort entfernen.
    Auf der Straße fuhren Autos an ihr vorbei. Sie streckte die Hand aus, um eines davon anzuhalten. Einige der Fahrer drosselten erst das Tempo, beschleunigten dann aber wieder, als sie sie genauer in Augenschein nehmen konnten und die Waffe sahen, die sie in der Hand hielt. Gerade als sie glaubte, dass es keine guten Samariter auf der Straße nach Tel Aviv gab, sah sie eine weiße Geländelimousine langsamer werden. Ihre Muskeln spannten sich an, sie rechnete damit, die Kröte hinter dem Steuer sitzen zu sehen. Wenn Gavrel Schnur der Fahrer gewesen wäre, hätte sie ihn ohne zu zögern direkt durch die Windschutzscheibe hindurch erschossen. Doch er war es nicht. Es war ein Mann mittleren Alters, neben dem eine Frau auf dem Beifahrersitz saß. Orla taumelte auf die Beifahrertür zu, als der Wagen am Straßenrand anhielt.
    Die Frau ließ ihr Fenster heruntergleiten, warf einen Blick auf die halbnackte und zerschundene Orla, die die Jericho 941 von sich streckte wie eine giftige Schlange, und sie schien die Situation richtig zu deuten. Sie war noch relativ jung, vielleicht fünfundzwanzig Jahre, aber sie war in den ständigen Konflikten zwischen Palästina und Israel aufgewachsen, und sie erkannte in Orla ein Opfer. So einfach war das. Orla vermutete, dass die Frau ihren Mann gebeten hatte, den Wagen anzuhalten. Die Fremde fragte nicht, was passiert war, sie sagte nur: „Steigen Sie ein.“ Als Orla in den Wagen geklettert war, sagte sie zu ihrem Mann: „Fahren wir weiter.“
    Der Wagen lösten sich vom Bordstein und fädelte in den Verkehr ein.
    Auf der Rückbank lag eine Puppe mit blonden Haaren, offenbar hatte das Paar eine Tochter. Sie befand sich nicht mit ihnen im Wagen. Die Frau auf dem Beifahrersitz drehte sich um, um Orla betrachten zu können. Orla sah ein Dutzend Fragen in ihren Augen; eine der wichtigsten davon lautete:
Was haben wir gerade getan?
Das war nur normal. Kein Mensch begab sich gern freiwillig in eine Situation, die einen unschönen Ausgang befürchten ließ. Doch zum Glück war die erste Reaktion der Frau ihrem Mutterinstinkt entsprungen: Sie hatte sie beschützen wollen. Jetzt durfte sie ihre Fragen gern stellen, ihre Flucht war gelungen, und mit jeder Minute entfernte sie sich weiter weg von dem verlassenen Lebensmittelgeschäft.
    „Danke“, sagte Orla, zum zweiten Mal innerhalb weniger kurzer Minuten. Diesmal meinte sie es ernst.
    „Was ist Ihnen zugestoßen?“
    Das war die drängendste der möglichen Fragen. Doch sie griff zu weit, als dass sie sie hätte von diesem Rücksitz aus beantworten können. Orla schüttelte den Kopf. Sie wusste, dass es so aussehen würde, als ob sie unter Schock stehen würde. Sie sah die Frau an und sagte: „Ich dachte, ich würde sterben. Sie haben mir das Leben gerettet.“ Das war zwar keine erschöpfende Antwort, aber die Frau schien sich für den Moment damit zufriedenzugeben. Sie hatte noch weitere Fragen an sie, die praktischerer Natur waren: Woher kommen Sie? Haben Sie ein Zimmer hier? Sollen wir Sie zur Polizei bringen?
    Das war das Letzte, was sie wollte. Sie wehrte das Sperrfeuer aus Fragen mit einer Gegenfrage ab. „Haben Sie ein

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