Silber
und mehr heißes Blut floss. Doch egal, wie tief sich die Handschellen auch einschnitten, sie konnte sich nicht aus ihnen herauswinden. Sie drehte sich ein Stück herum und lehnte sich gegen die Wand. An ihrem Rücken spürte sie die feuchte und kühle Steinmauer.
Sie hatte gesehen, was sie mit der anderen Frau gemacht hatten. Sie hatte gesehen, wie sie ihren Kopf wie eine Trophäe in die Kamera gehalten und ihn dann auf den Boden geworfen hatten.
Sie wusste, dass ihr dasselbe Schicksal drohte, wenn sie diesem dunklen Kellerloch nicht entkommen konnte.
Sie würde es schaffen.
So einfach war das.
Sie würde es schaffen.
Sie sagte sich das immer und immer wieder im Geiste vor, bis es zu einem Mantra wurde. Irgendwie hatte sie sich zum Opfer machen lassen. Aber das war nicht ihre Rolle in diesem Spiel. Dafür war sie zu stark. Sie war schon einmal durch die Hölle gegangen, und sie war daraus zurückgekehrt. Sie würde es auch diesmal schaffen.
Sie war allein in der Dunkelheit. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, wenn sie die quälenden Schmerzen nicht mehr ertrug, die ihr die Fesseln bereiteten; und sie hing an den Handgelenken, wenn sie der Marter nicht mehr standhielt, aufrecht stehen zu müssen.
Alle neun Herzschläge fiel ein Wassertropfen von der feuchten Decke und landete auf ihrer Haut. Manchmal fiel einer auf ihre Schulter und lief durch das Tal zwischen ihren Brüsten. Manchmal traf einer ihre Wange und rann ihren Hals hinab. Manchmal gelang es ihr, einen davon mit der Zunge zu fangen, doch es reichte nie aus, um ihren Durst zu stillen.
Sie spürte, wie die Ratten über ihre bloßen Füße huschten. Eine davon schnupperte an ihrem Knöchel. Orla wusste, dass ihre Körperwärme sie so interessant machte, ihr Fleisch und ihre Knochen, aber sie würden sie nicht anfressen, solange sie noch am Leben war. Ein unangenehmer Schauer lief über ihre Haut. Jede Faser ihres Körpers schmerzte. Sie verlagerte das Gewicht und trat mit dem Fuß nach der neugierigen Ratte. Der Tritt hatte keine Kraft, aber er reichte aus, um die Ratte wieder in die Dunkelheit zu verscheuchen.
In der Ecke des Raumes stand ein Eimer. Daran schnupperten die Ratten auch gerne. Man ließ sie auf diesen Eimer warten. Sie fügten der Folter so noch eine Demütigung hinzu, weil sie ihn nur alle ein oder zwei Tage zu ihr brachten – in der ständigen Dunkelheit war es schwer zu sagen. Sie wollten, dass sie sich selbst erniedrigte und in ihren eigenen Ausscheidungen stand. Es war als weiterer Schritt auf dem Weg gedacht, ihr ihre Menschlichkeit zu rauben. Doch sie verweigerte ihnen diese Genugtuung. Es war ihr gleichgültig, dass sie sich nackt über einen Eimer hocken musste, während sie ausgelacht wurde. Sie ließ sie um jeden kleinen Sieg kämpfen – so gab sie nicht einfach auf, und sie ließ nicht zu, dass aus kleinen Siegen große wurden. Und dieser Eimer war der Schlüssel zu ihrer Erlösung. Sie hatte ein bisschen Spielraum, je nachdem, wie ihre Peiniger die Kette an der Wand befestigten, wenn sie ihn benutzen durfte. Sie konnte in die Hocke gehen und sich mit den Fingern auf dem Boden abstützen. Das bedeutete, dass sie an der längsten Kette ihre Hände bis zur Hüfte senken konnte, wenn sie aufrecht stand, und fast bis zum Boden, wenn sie sich niederkauerte.
Dann hörte Orla plötzlich andere Geräusche. Schritte in der Dunkelheit.
Er kam zurück.
Sie schloss die Augen und versuchte, sich zu sammeln. Ihre instinktive Reaktion war nackte Angst. Doch die Angst konnte sie das Leben kosten. Und sie musste überleben. Das war alles, was zählte. Uzzi Sokol und seine Freunde mochten sie foltern und vergewaltigen, doch sie würde es überstehen. Ihr Körper konnte die Misshandlungen ertragen, und ihr Geist ebenfalls. Sollten sie ruhig versuchen, sie zu brechen – sie war stark. Sie mochten sie erniedrigen, schlagen, bespucken und auspeitschen; all das konnten sie tun. Aber sie hatte schon Schlimmeres durchgestanden. Das war die Wahrheit über Israel. Dieses Land konnte ihr keine Folter mehr aufzwingen, die sie nicht schon erduldet hatte.
Sie hörte das Rasseln eines Schlüsselbunds, dann wurde die Tür geöffnet. Ein schmaler Lichtspalt ergoss sich in die Zelle. Ihre Augen hatten sich schon so sehr an den Entzug optischer Reize gewöhnt, dass sich schon das wenige Licht schmerzend in ihre Netzhaut brannte. Sie wand sich und versuchte, ihren Peiniger zu erkennen. Er war von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, über dem Kopf
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