Silberband 002 - Das Mutantenkorps
außerordentlich zufrieden zu sein – mit sich und der Welt.
7.
Die Augen des Mannes weiteten sich plötzlich entsetzt, als hätten sie etwas Unfaßbares gesehen. Aber sie blickten ins Leere, hinein in die Unendlichkeit des blauen Himmels über dem kleinen Waldsee. Dann wurden sie starr und ausdruckslos.
Seine Hand, mit der er die Angel hielt, zitterte nicht. Als habe sie sich in Stein verwandelt, reagierte sie auch nicht, als der Schwimmer abrupt in die Tiefe gezogen wurde.
Hätte jemand in die Züge des Mannes blicken können, wäre er erschrocken zurückgewichen. Das Grauen darin mischte sich mit unfaßbarem Erstaunen – fünf Sekunden lang. In diesen fünf Sekunden hätte niemand in dem Mann den statistischen Angestellten Sammy Derring wiedererkannt, der seit einigen Jahren im Verteidigungsministerium des Westblocks zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten seine Pflicht erfüllte. Er war Junggeselle und fuhr regelmäßig zum Wochenende hinaus an den kleinen Waldsee, um für seine Zimmerwirtin Forellen zu fangen. Er selbst machte sich nichts aus Fisch, aber er vertrat die Auffassung, daß Angeln die Nerven beruhige. Drüben am Waldweg parkte sein kleiner Sportwagen, das zweite Hobby Sammys.
Sammy Derring war für diese fünf Sekunden so gut wie tot.
Sein Geist, sein Verstand oder seine Seele – wie immer man es nennen mochte – hatte den Körper verlassen.
Nicht freiwillig. Sie war dazu gezwungen worden. Etwas Stärkeres, Unbegreifliches hatte von seinem Gehirn Besitz ergriffen, war einfach eingedrungen und hatte das, was vorher dagewesen war, einfach herausgedrückt.
Für diese fünf unbegreiflichen Sekunden konnte Sammy Derring sich selbst am Seeufer sitzen sehen. Unsichtbar schwebte er als nacktes Bewußtsein in einigen Metern Höhe und schaute auf sich herab. Er begriff nicht, was er sah. Eigentlich hätte er – oder besser sein Körper – umfallen müssen. Aber er blieb sitzen und kümmerte sich nicht einmal um den Fisch, der angebissen hatte.
In Sammys Geist regte sich das Verlangen, die Angel einzuziehen, aber der unter ihm verharrende Körper gehorchte seinen Befehlen nicht mehr. Außerdem blieb ihm keine Zeit. Die fünf Sekunden waren vorbei. Das Bild des friedlichen Waldsees verschwamm vor Sammys Augen – hatte er denn noch Augen? – und verschwand. Eine unsichtbare Macht riß ihn mit sich fort. Für einen Augenblick glaubte er, eine riesige, gewölbte Kugel unter sich zu sehen, dann wurde es völlig dunkel. Er spürte, wie er in etwas hineingezogen wurde; dann waren auf einmal wieder Bewegungsreflexe vorhanden. Er fühlte Glieder, konnte sie rühren.
Trotz der Dunkelheit vermochte er wieder zu sehen. Er stellte fest, daß es nicht völlig finster war, sondern ein schwaches Leuchten den Raum erfüllte, in dem er sich nun befand. Nun drängte sich ihm die Frage auf, wie er hierhergekommen war, aber dann war ihm die Antwort plötzlich gleichgültig. Er hatte einen Schwächeanfall erlitten und lag im Krankenhaus. Eine andere Erklärung gab es nicht.
Er war krank. Müdigkeit nahm ihn gefangen. Warum kümmerte sich niemand um ihn? Er ahnte, daß jemand ganz in der Nähe war. Er versuchte sich aufzurichten, aber es gelang ihm nicht. Ob sie ihn am See gefunden und hierhergebracht hatten? Wie lange war er bewußtlos gewesen? Hatte er sich nicht selbst dort am See sitzen sehen? Seine Augen hatten sich an die Dämmerung gewöhnt, aber die Mattigkeit wurde größer. Er spürte, wie er einschlief. Aber da war etwas, das ihn nicht zur Ruhe kommen ließ. Eine Feststellung, die er gemacht hatte. Es dauerte lange Sekunden, ehe sie sein Bewußtsein erreichte.
Seine Finger … seine Beine!
Mit letzter Kraft riß er die Augen auf und starrte voller Entsetzen auf die Enden seiner vier Arme. Scharfe Krallen waren es, mit Saugnäpfen versehen.
Und dann erblickte er seinen Körper – einen in der Mitte stark verengten Wespenleib, mit feinen Haaren bedeckt. Die Form des Monstrums, in das er sich so urplötzlich verwandelt hatte, war so unwirklich, daß er mit einem Seufzer der Erleichterung seine schwarzen Facettenaugen schloß und die beiden Beine streckte.
Natürlich war alles nur ein Traum. Daß er nicht eher daran gedacht hatte!
Als ihn dann aber die Erkenntnis durchzuckte, daß ein Mensch während eines Traumes die Tatsache, daß er nur träumt, niemals feststellen konnte, war es bereits zu spät.
Sein Geist, der in einem unirdischen Körper gefangengehalten wurde, sank in einen
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