Silberband 013 - Der Zielstern
erbarmungslos. Er konnte nicht zwischen totem Material und einem
menschlichen Körper unterscheiden.
Oberst Hildrun, Chef des Lunaren Sicherheitsdienstes im Sektor F-81, legte die
Personalakten des Planungsingenieurs Alfo Zartus, geboren am 22. Juni 2062 in Lowman, Idaho, zur
Seite.
Düster betrachtete er den vor seinem Schreibtisch stehenden Sergeanten von oben bis unten. Als
sein Blick auf die Schockwaffe im offenen Gürtelhalfter des Wachmanns fiel, runzelte er seine
Stirn noch stärker. Mit ausgestrecktem Zeigefinger deutete er auf den Strahler.
Hildruns Stimme klang scharf: »Und das – was ist das? Hatten Sie etwa angenommen, wir
hätten Ihnen eine Mausefalle oder sonst etwas mitgegeben? Warum haben Sie Zartus nicht mit einem
Schockschuß betäubt? Er war doch nahe genug vor Ihnen, oder?«
Der junge Sergeant war blaß. Steif stand er vor seinem Vorgesetzten. Die anwesenden Offiziere
des Wachsektors F-81 sagten nichts. Der Fall war durchaus nicht so klar, wie ihn Hildrun zu sehen
schien.
»Jawohl, Sir, das schon«, stammelte der Soldat des Sicherheitsdienstes. »Ich hatte meinen
Deflektorschirm eingeschaltet, und Zartus konnte mich nicht sehen. Die Dienstvorschriften
verbieten die Anwendung von Schockstrahlen, wenn es nicht unbedingt notwendig ist. Mir aber
schien es nicht erforderlich zu sein. Der Spion war klein und schwach gebaut. Ich hätte ihn
mühelos überwältigen können. Warum hätte ich den Mann verletzen sollen?«
Oberst Hildrun erhob sich. Polternd glitt der Schreibsessel nach hinten. Mit auf dem Rücken
verschränkten Händen schritt der Kommandeur zum Getränkeautomat hinüber. »Ach, Sie wollten ihn
nicht verletzen! Dafür haben Sie ihn in den sicheren Tod geschickt, nicht wahr?«
»Sir, ich hatte mit dem Sprung nicht gerechnet. Es geschah zu schnell. Als Zartus erst einmal
auf dem Band lag, wollte ich nicht mehr schießen.«
»Warum nicht?«
»Weil die Förderanlage schneller läuft, als ich rennen kann, Sir. Hätte ich den Techniker
betäubt, wäre es ihm unmöglich gewesen, im letzten Augenblick abzuspringen. Es war seine letzte
Chance. Ich habe ihm zugerufen, daß hinter der Maueröffnung die Isolationsmaschine steht. Er
hörte nicht auf mich. Was hätte ich tun sollen, Sir?«
Oberst Hildrun drehte sich um. »Können Sie beweisen, daß Sie ihm eine Warnung nachgerufen
haben?«
Der Sergeant des Wachkommandos sah sich hilfesuchend um. Ein Leutnant der Überwachungstruppe
meinte dazu: »Die Tonbandaufnahmen liegen vor, Sir. Wir haben die Fernüberwachung eingeschaltet,
als Sergeant Rodzyn mit seinem Helmsender das Alarmzeichen gab. Er hat tatsächlich gerufen, sehr
laut sogar.«
Wortlos stapfte Hildrun zu seinem Schreibtisch zurück. Den Becher setzte er so heftig ab, daß
das Getränk überschwappte. »Ihr Glück, Rodzyn. Wieso kamen Sie überhaupt auf die Idee, dem Spion
allein in den Transportraum zu folgen?«
»Ich hatte Zartus schon einige Zeit beobachtet, Sir. Ich wollte ihn auf frischer Tat ertappen,
weshalb ich ihm auch im Schutz des Deflektorfelds nachging. Er machte wieder Aufnahmen mit seiner
Uhrkamera. Ich stand dicht dabei und wartete ab. Anschließend nahm er den Mikrofilm heraus, löste
seine Zahnprothese und versteckte die winzige Spule in einer genau passenden Öffnung der
Gaumenplatte. Da sprach ich ihn an. Er war wie erstarrt, und außerdem wirkte er völlig hilflos.
Mit dem Sprung auf das Transportband hatte ich einfach nicht gerechnet. Ich konnte ihn nicht mehr
festhalten.«
Hildrun sah zu den Offizieren seines Stabes hinüber. Sergeant Rodzyn wartete atemlos.
»Schön, geben Sie Ihre Aussagen zu Protokoll. Sie sind vorerst vom Dienst beurlaubt. Sind Sie
sich darüber klar, daß ich den Fall dem Abwehrchef melden muß?«
Rodzyn nickte unsicher. Augenblicke später verließ er das Chefzimmer. Im Vorraum suchte er
sich eine Sitzgelegenheit und ließ sich erschöpft darauf niedersinken.
Vergeblich versuchte er, die schreckliche Szene aus seinem Gedächtnis zu verbannen. Das
verzerrte Gesicht des kleinen Mannes tauchte immer wieder vor seinem geistigen Auge auf.
»Es war ein Unfall, Rodzyn«, sagte ein vorübergehender Offizier. »Gehen Sie in Ihr Quartier
und bereiten Sie sich auf das Protokoll vor. Sie sehen erbärmlich aus.«
»Ich komme mir auch erbärmlich vor, Sir«, entgegnete der S-Mann mit trockenen Lippen. »Wie
soll das nun weitergehen? Ich konnte doch nichts dafür.«
»Das wissen wir. Wenn Sie Pech haben,
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