Silberband 013 - Der Zielstern
hochgewachsenen Mannes in der schmucklosen
Kombination des Wartungspersonals bemerkte.
Der Mann trug eine zerknautschte, völlig unkenntlich gewordene Schirmmütze auf den
dunkelblonden Haaren. Rangabzeichen waren auch keine zu sehen, weshalb Brazo – trotz seines
begreiflichen Zornes noch immer höflich bleibend – rief: »Konnten Sie nicht zur Seite
springen – Sie steifkreuziger Ölpeilstab, Sie! Himmel, wie sehen Sie überhaupt aus?«
Verwundert über sich selbst stierte Brazo nach oben. Schließlich meinte er verlegen:
»Entschuldigen Sie, Freund, es war nicht so gemeint. Natürlich bin ich schuld. Würden Sie mir
einmal helfen?«
»Sicher.« Der hochgewachsene, schlanke Mann mit den grauen Augen nickte. »Sie haben Sätze
gemacht wie ein dreibeiniger Pavian.«
»Gibt es so etwas?« wunderte sich Brazo.
Der Fremde lachte schallend. Sanft klopfte er Brazos beschmutzte Uniform ab. »Immer korrekt,
Herr Leutnant, nicht wahr? Darf man fragen, wohin Sie wollen?«
Alkher begann sofort mit der verzweifelten Suche nach den Papieren, die man ihm überall
aufgedrängt hatte. Der Hagere wartete geduldig, bis der immer nervöser werdende Leutnant den
Marschbefehl in der Knietasche seiner Kombi entdeckt hatte.
Brazo wußte nicht, ob er bei dem schallenden Gelächter die Fassung verlieren oder geduldig
bleiben sollte. Er entschloß sich zum letzteren. Außerdem war sein sachverständiger Blick
mittlerweile von der schimmernden Kugelwandung eines offenbar nagelneuen Schweren Kreuzers der
TERRA-Klasse gefesselt worden.
Das zweihundert Meter große Raumschiff stand in einer riesigen Halle. Überall waren bewaffnete
Posten und Kampfroboter zu sehen. Brazo wußte bereits, daß er sich in den geheimnisvollsten
Bezirken der neuen Mondwerften befand. Was hier geschah, wußten nur wenige Eingeweihte.
Es dauerte nur einige Augenblicke, bis Brazo festgestellt hatte, daß der äquatoriale Ringwulst
des 200-Meter-Kreuzers ungewöhnlich geformt war.
Der Triebwerksring war größer als bei den bekannten Einheiten und am Rand aufgewölbt. Das war
aber auch alles, was auf den ersten Blick befremdend erschien.
Der grauäugige Mann hatte zu lachen aufgehört. Aufmerksam musterte er den jungen Leutnant,
dessen Papiere er flüchtig durchgeblättert hatte. Brazos weiches, verträumtes Jungengesicht hatte
sich gespannt. Es wirkte plötzlich härter, entschlossener und männlicher.
Der Techniker lächelte unmerklich. Wortlos bückte er sich und nahm die großen Tragetaschen
auf.
»Gehen wir, Sir. Sie werden erwartet.«
Brazo Alkher nickte geistesabwesend. Sekunden später wunderte er sich über den vorbildlichen
Gruß der anwesenden Soldaten und Techniker. Als sogar die Wachroboter zu salutieren begannen und
scharfe ›Achtung-Rufe‹ den Lärm der Ausrüstungsstation durchdrangen, wurde ihm schon wieder
unheimlich.
Er blieb stehen, drehte den Kopf und flüsterte seinem freundlichen Begleiter hastig zu:
»Mensch, sagen Sie mal – wird hier jeder kleine Leutnant mit solchen Ehren empfangen? Die
Leute sind ja aus dem Häuschen.«
»Die verstellen sich nur«, sagte der Hochgewachsene gemütlich.
Brazo lachte unsicher. Ein vorübergehender Oberst der Flotte legte die Hand an den
Mützenschirm und drückte die Brust heraus.
Brazo war dem Weinen nahe.
»Der hat mich aber vernichtend angesehen«, sagte er zu seinem Begleiter. »Wollen Sie mir nicht
endlich verraten, was das für ein Irrenhaus ist? Mann, Sie sehen aber wirklich scheußlich aus.
Warum waschen Sie sich nicht das Gesicht? Also wenn Sie unter meinem Kommando stünden, dann würde
ich Ihnen etwas erzählen.«
Kopfschüttelnd sah er den gleichgroßen Fremden an, und schließlich hob Brazo die Hand, um mit
dem ausgestreckten Zeigefinger an den Wangen des Blonden herumzukratzen.
»Fast meterdick«, sagte er vorwurfsvoll. »Muß das sein, Sie Ferkel?«
Der Gepäckträger salutierte: »Nein, Sir!«
Ein furchtbares Brüllen ließ Brazo Alkher erst in die Knie sinken und dann entsetzt
herumfahren. Die grausigen Töne drangen fraglos aus der offenstehenden Luftschleuse des seltsamen
Schweren Kreuzers hervor.
Die Töne endeten in einem tiefen Röhren, das wie das Gurgeln eines ertrinkenden Sauriers
klang.
»Guter Gott, was war das?« ächzte Brazo.
»Der Kommandant hat gesungen«, wurde er belehrt. »Haben Sie noch nie einen Epsal-Geborenen
singen hören?«
Brazo gab auf. Er fühlte sich wie gerädert. Hier schien niemand mehr normal zu
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