Silberband 019 - Das Zweite Imperium
vierundzwanzig
Stunden erlebt.
Ich muß ins Planetarium, dachte er.
Als er den Kreis betrat, trug ihn das Feld nach oben, durch das Loch in der Decke, durch die
optische und akustische Sperre.
Über ihm wölbte sich der Dom, über ihm gleißte die Wiedergabe der Milchstraße. Alles war so,
wie er es verlassen hatte.
Er ging auf einen bestimmten Punkt der Randzone zu. Immer wieder blickte er zum Planetarium
hinauf. Immer öfter wischte er sich dabei über die Augen. Irgend etwas ließ ihn verwaschene
Reflexe sehen.
War er überanstrengt? Warnten ihn die Augen, mit seinen Kräften keinen Raubbau zu treiben?
Tyll Leyden fühlte sich nicht einmal müde. Er hatte jetzt das Empfinden, vollkommen frisch zu
sein.
Unbewußt hatten ihn seine Schritte zur Plastik geführt.
Sie drehte sich auf ihrem schwebenden Sockel. Die Augen der Statue leuchteten von innen
heraus; der Sockel leuchtete. Leyden wischte sich wieder über die Augen, aber das Leuchten der
Plastik blieb unverändert stark.
Als er die Arme danach ausstreckte, dachte er an keine Gefahr.
Als die sich drehende Statue unter seinen Händen dahinglitt, fühlte sie sich so kühl an wie
bisher. Er trat einige Schritte zurück und schüttelte resignierend den Kopf.
Was hatte das Leuchten der Plastik zu bedeuten?
Je länger er sie fragend betrachtete, um so deutlicher wurde ihm, welche Verantwortung er für
seine Kollegen übernommen hatte. Die Erinnerung, wie ihm eine Gruppe kurz vor dem letzten Beben
entgegengetreten war, löste in ihm Bitterkeit aus.
Jetzt war er glücklich, daß eine Staubwolke sie überfallen hatte. Jetzt war er zufrieden, daß
das Beben gekommen war und anschließend der Orkan. Diese Ereignisse hatten ihn davor bewahrt, auf
seine Kollegen schießen zu müssen.
Aber warum leuchtete jetzt auch die Statue?
Warum lärmten die Maschinen nicht mehr?
Das alles mußte doch einen Sinn haben. Er traute den Oldtimern nicht zu, ein bösartiges Spiel
mit den Entdeckern ihres Planetariums zu treiben.
»Es ist zum Verzweifeln!« rief er laut.
Ich muß zum Planetarium hinauf, dachte er dann so intensiv, daß ein Strahl aktiviert
wurde und ihn nach oben trug.
Er befand sich in 2.000 Meter Höhe über dem kreisrunden Boden des Felsdomes. Mit der gleichen
Geschwindigkeit wie sonst wurde er hinaufgetragen. Nun blickte er zum ersten Male wieder zu den
künstlichen Sternen.
Er kniff die Augen zusammen.
Deutlicher als von unten her sah er Reflexe.
»Reflexe?« fragte er sich. Und noch einmal: »Reflexe?«
Ein unnatürlicher Farbton machte sich an einigen Stellen der künstlichen Milchstraße breit; es
waren Farbflächen, die im irisierenden Licht strahlten und ganze Sternenballungen in sich
einschlossen.
Leyden war noch tausend Meter von den Randzonen der Galaxis entfernt, als er die nächste
Entdeckung machte.
Er zählte sieben irisierende Flächen.
Die leuchtenden Stellen innerhalb der Milchstraße befanden sich alle an jenen Plätzen, wo
Leyden und seine Mitarbeiter Sternenballungen registriert hatten, die es in Wirklichkeit nicht
gab.
Intensiv dachte er jetzt an sein Ziel. Der Strahl führte ihn so nah wie möglich heran. Ihm kam
es nicht ungeheuerlich vor, in rund fünftausend Meter Höhe auf der Stelle zu schweben und von
blitzenden Punkten, die Sonnen darstellten, umgeben zu sein. Er hatte keine Zeit, sich diesem
Erlebnis hinzugeben. Er starrte zum leuchtenden Fleck hinüber, und er erinnerte sich, daß die
dort befindlichen Systeme vor einiger Zeit schwächer geleuchtet hatten als die anderen Sterne.
Nun waren sie in dem irisierenden Feld eingebettet.
Nach unten, dachte er.
Von dort trug ihn ein anderer Strahl in den Kreis auf dem Boden des Maschinensaals. Leyden
verließ den Saal. Hinter ihm schloß sich das Tor. Er stieg in den Gleiter, passierte den Gang und
erreichte das Freie.
Auf Impos begann der Morgen.
Aber Tyll Leyden erkannte die nahe und weitere Umgebung nicht mehr wieder. Wo war das Plateau,
auf dem ihre Plastikhäuser standen?
Sie standen noch, aber jetzt in einer tiefen Mulde. Die flachen Dächer ragten nur wenig über
zerklüftete Felskanten heraus. Leyden begriff, daß während seines Aufenthalts im Berg ein neues
Erdbeben Impos heimgesucht hatte. Von Äona und seinen Trümmern und dem fünfzig Meter hohen Turm
war nichts mehr zu sehen. Ein Gebirge von Felsmassen lag darüber. Allein eine schmale Gasse,
rechts und links von hohen Schutthalden begrenzt, die zum Eingang des Singenden
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