Silberband 019 - Das Zweite Imperium
fand, sich mit den Fremden zu verständigen, dann mußte er auf jeden Fall das
Geheimnis seiner Intelligenz preisgeben.
Kein Schreckwurm hatte jemals gewagt, ein derartiges Risiko einzugehen. Es war eine
Existenzfrage ihrer Art, daß sie es vermieden, die Fähigkeiten ihrer Gehirne zu zeigen. Von den
unzähligen Tabus, mit denen der Schreckwurm behaftet war, wog das der Geheimhaltung ihrer
Vernunft am schwersten.
Doch er hatte sich von Anfang an in ein Spiel mit hohen Einsätzen eingelassen. Seine Trümpfe
waren restlos aufgebraucht, nur noch die oberste Karte in diesem Spiel, seine Intelligenz, hatte
er zurückgehalten. Jeder, der diese Karte sah, mußte sterben.
Und darauf baute er seinen Plan auf. Er konnte die Fremden mit Versprechungen dazu verlocken,
ihm zu helfen. Sobald er sie nicht mehr benötigte, konnte er sie vernichten.
Das war Verrat, aber er fühlte keine Skrupel. Wichtig allein war jetzt die Erhaltung seines
Lebens.
Seine Handlungsweise kam ihm nicht als Betrug vor. Er fand nichts dabei, Angehörige fremder
Rassen zu hintergehen. Da seine eigene Art in der ständigen Gefahr lebte, auszusterben, hatte sie
einen ausgeprägten Rassenegoismus entwickelt, der dazu geführt hatte, daß sie das Leben anderer
Wesen nicht als wertvoll einschätzten.
Er begann über die Möglichkeiten nachzudenken, die ihm für eine Verständigung zur Verfügung
standen. Wenn er einfach die Zentrale verließ, um sie im Schiff zu suchen, mußten sie annehmen,
daß er sie verfolgen und töten wollte. Außerdem hatten sie dann eine Chance, hier einzudringen
und Manipulationen nach eigenen Vorstellungen vorzunehmen.
Er wollte es sein, der das Ziel des Schiffes bestimmte.
Das geringste Risiko barg im Augenblick ein Radioimpuls, den er mit dem Hyperteil seines
Gehirns an die Fremden absenden konnte. Danach konnte er in aller Ruhe warten, wie sie darauf
reagierten – wenn sie überhaupt in der Lage waren, Impulse aufzufangen und zu
entschlüsseln.
Er mußte äußerst vorsichtig sein. Durch keine Äußerung, durch keine Geste durfte er verraten,
welches Schicksal er den eventuellen Helfern zugedacht hatte. Vor allem durfte er sie wegen ihrer
körperlichen Kleinheit und Schwäche nicht unterschätzen.
Er fing an, sich die Formulierung des Funkimpulses zu überlegen. Es mußte vermieden werden,
eigene Vorstellungen und Gedanken darin zu entwickeln. Sie waren intelligent genug, um jeden
Ansatzpunkt für eine Falle sofort zu spüren.
Er wurde in seinem Entschluß schwankend. Sein Plan enthielt bereits den Fehler, den er unter
allen Umständen vermeiden wollte: die Fremden zu unterschätzen. Wenn er unterstellte, daß sie
seine wahren Absichten nicht durchschauten, dann gab er sich falschem Optimismus hin. Sie würden
sofort wissen, daß er sie nach erfolgter Mithilfe vernichten wollte.
Mit Lügen allein kam er nicht weiter. Er mußte sie psychologisch bearbeiten.
Dabei ging er davon aus, daß sie unter allen Umständen in die Zentrale wollten. Dieser Wunsch
mußte dem natürlichen Selbsterhaltungstrieb der Wesen entspringen. Zweifellos wußten sie, daß das
Schiff einem unbekannten Ziel zusteuerte und einem Ort, an dem der Tod auf sie wartete.
Sie würden also, um in den Kommandoraum zu gelangen, jedes Risiko eingehen. Dabei würden sie
das gleiche versuchen, was er mit ihnen vorhatte: Sie würden keine Gelegenheit verstreichen
lassen, ihn zu überlisten.
Es kam nicht darauf an, wer der Stärkere war – über diese Frage gab es sowieso keine
Zweifel –, vielmehr ging es um die größere Schläue.
Er würde ihnen ehrlich sagen, daß er sie töten würde, sobald das Schiff sich einer Welt
näherte, auf der die Fremden ihr Wissen um seine Vernunft weitergeben konnten. Solange
weiterzuleben, würde die Hoffnung der Kreaturen nähren, ihn während der Reise außer Gefecht zu
setzen.
Diese Idee gefiel ihm weitaus besser als die erste. Er würde ihnen ein Ultimatum stellen.
Entweder, würde er ihnen sagen, sterbt ihr jetzt, oder ihr helft mir, das Schiff zu steuern,
dann gewinnt ihr weitere Tage, um zu leben.
Das war ein schamloses Spiel mit dem Leben anderer, aber er zweifelte keinen Augenblick daran,
daß sie ähnliche Pläne hatten.
Umständlich entzündete Leutnant Claude Collignot die drittletzte seiner Zigarren
und blickte nachdenklich zum Lüftungsschacht hinauf, in dem Captain Firgolt verschwunden war.
»Umkehren wird schwierig für ihn sein«, bemerkte er. »Der Schacht ist
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