Silberband 027 - Andromeda
hinüber. Von dort drohte Gefahr. Ein
Sechstatzer konnte das kaum begonnene Unternehmen jählings beenden, wenn man die Augen und Ohren
nicht ständig offenhielt.
Andohr erschauerte, als langgezogenes Heulen durch die Nacht hallte. Aber dann lachte er
unbekümmert und setzte seinen Weg fort. Die Flugdrachen scheuten die Begegnung mit den ›Wesen,
die die Feuer beherrschten‹, wie Andohr und seine Artgenossen sich nannten.
Er stieß einen schrillen Pfiff aus, als zwei schwankende Schatten über seinem Wege
auftauchten. Die Schatten verschwanden, als hätte die Nacht sie geschluckt. Allmählich wurde der
Weg schlechter. Bald würde die Grenze des Klan-Besitzes erreicht sein.
Andohr blieb stehen, als ein kühlender Hauch seinen nackten, eingefetteten Körper
umschmeichelte. Seine Nüstern blähten sich auf. Der Wind trug den Geruch von Wasser mit sich.
Als der angehende Jäger weiterging, geschah es noch vorsichtiger und lautloser als zuvor.
Heute sollte er seine Mannbarkeitsprobe ablegen, und Andohr hatte nicht die Absicht, die
Erreichung des gestellten Zieles durch eigene Unachtsamkeit in Frage zu stellen.
Ein letztes, halbverwildertes Feld blieb zur Rechten zurück. Mannshohes Büschelgras mit
geisterhaft hellen Wedeln tauchte auf. Die Wedel sahen im ungewissen Schein der Sterne aus wie
weißhaarige Greisenköpfe. Sie schienen Andohr zuzunicken und ausdrücken zu wollen: Sieh, wir
haben das Ziel erreicht; nun warten wir auf dich. Zeige, daß du unserer Taten würdig bist. Werde
ein Mann!
Andohr lächelte. Er würde heute nacht ein Mann werden! – Im Leben oder im Tod!
Plötzlich war der Weg zu Ende.
Das mannshohe Gras stand wie eine Mauer vor Andohr. Er streckte die Spitze des Lanzenschwertes
nach vorn und drang ungestüm in die rauschenden Wedel ein. Der Wind wehte ihm entgegen, und gar
zu leicht konnte sich ein Sechstatzer im Windschatten von hinten anschleichen. Nur die eigene
Schnelligkeit vermochte das zu verhindern. Was von vorn kam, das würde Andohrs ausgeprägter
Geruchssinn rechtzeitig wahrnehmen: Der Wind trug ihm alle Gerüche überdeutlich entgegen.
Kurz danach stand er vor dem niedrigen und felsenleeren Ufer des Blutigen Stromes, Glucksen
und Gurgeln drang zu ihm herüber. Schemenhaft ragte der finstere Koloß der Geisterklippe aus den
unübersehbaren Fluten.
Einen einzigen bangen Herzschlag lang erschien Andohr die Klippe wie ein schwarzes Verhängnis.
Er fröstelte. Aber dann wappnete er sich mit seinem ganzen Mut und schritt tapfer in die
rauschende Flut.
Als ihm das Wasser bis zur Brust reichte, begann er zu schwimmen. Kraftvolle Stöße brachten
ihn rasch vorwärts. Das Lanzenschwert hielt er fest umklammert, obwohl ihm diese Waffe plötzlich
unzureichend gegenüber den Gefahren erschien, die auf der Geisterklippe lauerten.
Ein naßtriefender Schatten tauchte jählings neben ihm auf. Ein breites, scharfzahniges Maul
öffnete sich. Andohr warf sich herum und tauchte weg. Über ihm wurde die Flut schäumend
aufgewühlt. Andohr hielt sich mit oft geübten leichten Bewegungen und wartete. Als sich seine
Augen an die Dunkelheit der nächtlichen Wassertiefe gewöhnt hatten, entdeckte er den glatten
Unterleib des Schlingers. Sorgfältig zielte er mit der Spitze des Lanzenschwertes auf die Stelle
unterhalb des Kehlsackes – dann schnellte er sich nach oben.
Er wurde aus dem Wasser geschleudert, als sich das Untier vor Schmerz und blinder Wut wand.
Aber eisern hielt er seine Waffe fest. Wieder und wieder klatschte er auf die Wasseroberfläche.
Oft genug geriet der peitschende Schweif des Schlingers in bedrohliche Nähe.
Dann war der Kampf vorüber. Blut färbte das Wasser. Der Kadaver des Räubers trieb stromab.
Bald würden ihn die Artgenossen verschlingen.
Andohr aber wandte sich erneut der Geisterklippe zu.
Wenig später türmte sich die zackige Klippe riesengroß vor ihm auf. Andohr zog sich an den von
Gischt benetzten Steinen empor. Dann lag er außerhalb der strudelnden Flut und rang nach Atem.
Seine Augen waren starr auf den schwarzen Fels gerichtet. Schründe und Höhlen schienen in dieser
unheimlichen Nacht zu den Öffnungen eines Totenschädels zu werden. Eine stumme Drohung ging von
ihnen aus.
Nach einiger Zeit, als sich Andohr von der Anstrengung der Flußüberquerung erholt hatte,
richtete er sich auf und begann nach einem Aufstieg zu suchen.
Die dunklen Wolken, die plötzlich den Himmel überzogen, schnitten das Licht der Sterne ab.
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