Silberband 060 - Die Cynos
diese Welt lernen, nicht wahr? Was werden Sie erfahren, wenn Sie mit brutaler Gewalt zuschlagen? Nichts; denn der Geist weicht der Gewalt aus. Kommen Sie mit uns. Beobachten Sie, was im Geistertal geschieht. Dann entscheiden Sie, was getan werden muß.« Er sprach zwingend, und Holli ließ sich überzeugen.
Der Marsch ging weiter. Eine Stunde vor Mittag erreichten sie das Dorf. Es bestand aus vierzig bis fünfzig Hütten, die aus Stämmen ausgeführt und mit Gras bedeckt waren. Alles wirkte sehr primitiv und dennoch ordentlich. In dem Dorf wohnten einhundertzwanzig Leute, das war die Gesamtzahl der Chuinisten. Chuin hielt sich nur kurze Zeit auf. Er rief seine Anhänger zusammen und erklärte, daß er sich mit einer Gruppe von zehn Mann ins Geistertal begeben werde. Auf die Anwesenheit der beiden Fremden ging er nicht ein. Es gab ein paar neugierige Blicke, aber niemand wagte es, eine offene Frage zu stellen. Unter den Versammelten erkannte Holli die Frau, die vor zwei Nächten vor ihm aus dem Ruinenfeld von Point Chuin geflüchtet war.
Um Mittag brachen sie auf. Gegen drei Uhr erreichten sie den Rand des Tales. Sie zogen durch einen schmalen Paß. Am Ende des Paßes erkannte Holli, daß das Tal in Wirklichkeit eine Hochebene war. Vor ihnen senkte sich das Gelände zur dampfenden Dschungelebene hinab.
Er nahm den Minikom hervor. »Kochern?«
»Hier. Was gibt's?«
»Volle Alarmbereitschaft! Wir sind auf dem Weg ins Geistertal. Ich werde mich von jetzt an alle zehn Minuten melden. Bleibt die Meldung aus, kommen Sie uns zu Hilfe.«
»Verstanden.« Kochern schaltete aus.
Erst eine Weile später wurde Holli sich darüber klar, daß er soeben einem Vorgesetzten Befehle erteilt hatte.
Gegen Mittag kam Leben in das Lager am Rand der Lichtung. Bisher hatte jedermann vor sich hingedöst. Jetzt, ohne daß jemand etwas gesagt hatte, war plötzlich alles auf den Beinen. Persh Hankolore war gegen Sonnenaufgang schließlich eingeschlafen, aber inzwischen hatte er sein Schlafbedürfnis längst gestillt und war einer der Aktivsten im Lager – ohne daß man erkennen konnte, worauf seine Aktivität abzielte.
Orin Ellsmere war nachträglich froh darüber, daß er der gestrigen Festmahlzeit so kräftig zugesprochen hatte. Er empfand immer noch keinen Hunger, dagegen begann der Durst ihn allmählich zu quälen. King Pollack erging es ebenso. Er fluchte in einem fort.
Schließlich kam Hankolore, begleitet von fünf Männern, auf die Gefangenen zu und löste ihnen die Fesseln so weit, daß sie aufstehen konnten.
»Wir gehen zum Geistertal«, erklärte er kurz.
»Ich gehe keinen Schritt, solange ich nichts zu trinken bekomme!« sagte King Pollack.
Jemand gab ihnen zu trinken. Es war warmes, faulig schmeckendes Wasser, aber das machte ihnen nichts aus. Dann begann der Marsch, an dem sich die gesamte Gruppe beteiligte. Offensichtlich war den Leuten der Weg zum Geistertal vertraut, denn sie fanden Schneisen und Löcher im Unterholz, wo Ellsmere nur dichten, verfilzten Dschungel sah. Infolgedessen kamen sie recht schnell vorwärts. Das Gelände war zunächst eben. Später begann es sich sanft zu senken, und der Dschungel wurde lichter.
Ellsmere fragte sich, wie lange es noch dauern würde, bis Kochern eingriff. Bisher hatte sein Zögern ihn nicht sonderlich beunruhigt. Die Lage war prekär. Aus den letzten Meldungen, die an die UST-3048 ergangen waren, hatte Kochern entnehmen können, daß der erste Kontakt mit den Gesuchten unmittelbar bevorstand. Er würde also einige Zeit verstreichen lassen, bevor er das Ausbleiben weiterer Meldungen als ein Gefahrensignal deutete und den Bedrängten zu Hilfe eilte. Mittlerweile jedoch waren seit ihrer Gefangennahme an die vierundzwanzig Stunden verstrichen, und Ellsmere begann sich über Kocherns Geduld zu wundern.
Mehrmals versuchte er, Persh Hankolore in ein Gespräch zu verwickeln. Aber der Afrikaner scheute seine Nähe, und wenn Ellsmere ihn doch einmal überraschte, dann war er einsilbig, und seinen Worten war nichts Wissenswertes zu entnehmen. Immerhin erfuhr der Major, daß Hankolore die Geräte und Waffen, die er seinen Gefangenen abgenommen hatte, mit sich führte, um sie dem Geist des Waldes als Opfer zu überbringen. Um den Shift hatte er sich anscheinend nicht gekümmert. Ellsmere erwähnte das Fahrzeug, ohne eine Reaktion zu erzielen.
Es mochte zwei Stunden vor Sonnenuntergang sein, als der Dschungel sich plötzlich vollends lichtete und den Blick auf das vorabliegende
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