Silberband 064 - Die Stimmen der Qual
Körper zurückerlangte, stand er auf einem breiten Sims aus einem kristallähnlichen Material. Unter ihm verlief ein metallisch schimmerndes Band, auf dem antennenähnliche Stäbe befestigt waren. Im Hintergrund erkannte Alaska eine graue Wand, in die runde Löcher eingelassen waren. Eine Decke im eigentlichen Sinn des Wortes gab es nicht. Eine milchfarbene Substanz, die offenbar als Lichtquelle diente, versperrte den Blick in größere Höhen.
Alaska drehte sich langsam um. Auf der anderen Seite wurde der Sims von einer grauen Wand begrenzt. In ihr befanden sich keine Löcher. Alaska wunderte sich darüber, daß er den Eingang nicht sehen konnte, durch den er diesen seltsamen Raum betreten hatte.
Kytoma stand schräg unter ihm auf dem Metallband, das unter ihren Füßen vorbeilief, ohne sie wegzutragen. Alaska erklärte sich dieses Phänomen damit, daß Kytoma schwerelos war und knapp über dem Boden schwebte.
»Komm herunter!« rief sie ihm zu.
Doch Alaska blieb auf dem Sims. Die Umgebung war so fremdartig, daß er befürchtete, jeder Schritt könnte ungeheure Veränderungen auslösen. Es war, als hätte er seinen Blick in ein gewaltiges Kaleidoskop gerichtet, bei dem die geringste Erschütterung ausreichte, um die Umgebung zu verändern.
Dieser Raum oder was immer es war, registrierte Alaska. Der Terraner fühlte sich beobachtet. Sogar sein Atem und das Pulsieren seines Herzens schienen registriert zu werden. Seit er das ›Gebäude‹ betreten hatte, gab es zwischen der Stadt und ihm einen beinahe intimen Kontakt. Sein Innerstes lag ausgebreitet vor der Stadt und wurde kontrolliert.
Dieses Bewußtsein war so stark, daß Alaska der Schweiß ausbrach. Er spürte jetzt nackte Angst. So mußte sich ein intelligentes Wesen auf einem Seziertisch fühlen. Es war, als würden tausend grausame Augen auf ihn herabstarren.
Das halte ich nicht aus! dachte er verzweifelt.
Unter den Blicken unsichtbarer Apparaturen schien er zusammenzuschrumpfen. Während des mysteriösen Vorgangs herrschte völlige Stille.
»Aufhören!« brach es aus Alaska hervor. »Laßt mich in Ruhe! Ich will nicht in diese verdammte Stadt! Laßt mich hinaus, wenn ich euch nicht gut genug bin.«
Obwohl er schrie, kam ihm seine Stimme leise vor. Der Klang seiner Stimme schien von der milchigen Masse, aus der die Decke bestand, aufgesogen zu werden.
Alaska zitterte. »Ich bin nicht wehrlos!« rief er. »Nicht so wehrlos, wie ihr denkt!«
Seine Hände zuckten nach oben. Er bekam die Maske zu fassen. Hastig zerrte er die Halteschlingen von den Ohren.
»So!« keuchte er. »Das ist meine Waffe!«
»Alaska!« rief Kytoma. Der Vorwurf in ihrer Stimme war unüberhörbar.
Der Transmittergeschädigte wunderte sich, daß er das Cappin-Fragment nicht strahlen sah.
Er tastete mit den Händen über sein Gesicht und fühlte den schwammigen Organklumpen, der bei dieser Berührung im Gegensatz zu sonst nicht zusammenzuckte. Es war, als hätte das Cappin-Fragment keine Energie mehr. Es schien völlig abgestorben zu sein.
Alaska stöhnte und sank auf dem Sims in sich zusammen. Er fühlte sich wie nackt. Behutsam schob er die Plastikmaske wieder über sein Gesicht. Er blickte über den Rand des Simses.
Kytoma schwebte noch immer dicht über dem Band und sah zu ihm hinauf. »Kommst du jetzt?« erkundigte sie sich.
Alaska preßte die Zähne aufeinander. Er kämpfte gegen das Gefühl an, das ihn seit Betreten der Stadt beherrschte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als die Aufdringlichkeit dieser Stadt zu ignorieren. Langsam schob er seine Beine über den Sims. Seine Füße berührten das laufende Band. Er erwartete, davongerissen zu werden, doch es geschah nichts. Da erst begriff er, daß er einer Täuschung zum Opfer gefallen war. Eine dünne Schicht transparenten Materials bedeckte das Laufband. Diese Schicht bewegte sich nicht. Sie war es auch, die Kytoma eine Haltung ermöglicht hatte, die Alaska fälschlich als Schwerelosigkeit angesehen hatte.
Schwankend kam Alaska auf die Beine. »Diese Stadt«, brachte er hervor. »Lebt sie?«
»Nein«, sagte Kytoma.
»Aber ich kann sie spüren!«
»Es ist die Seele der Stadt«, erklärte sie. »Jede unserer Städte besitzt eine Seele. Wir könnten sonst nicht in ihr leben. Die Stadtseele garantiert uns ein harmonisches Zusammenleben, denn sie zeigt gnadenlos auf, wenn jemand nicht in dieses System paßt. Kein Mitglied unseres Volkes hätte in einer solchen Stadt leben können, wenn es negative Absichten zu
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