Silberband 081 - Aphilie
Misstrauen legte sich etwas. »Djak redet sonst nie viel«, murmelte sie, und Andor Casaya fasste es so auf, dass der Alte ihm vertraute. Casaya war immerhin mit den Redewendungen der Null-Aphiliker so vertraut, dass er die unterschwelligen Töne heraushören konnte. Er war durch eine gute Schule gegangen.
Der Alte kam heran und erzählte, wie er und Casaya zusammengetroffen waren.
»Das tut mir Leid«, sagte Ainra mitfühlend, als sie hörte, wie seine Frau und sein Kind gestorben waren. »Ich hoffe, du hast deshalb den Mut zum Weiterleben nicht verloren.«
»Ich lebe nur noch für meine Rache.« Casaya ballte die Hände zu Fäusten. Er kam sich dabei idiotisch vor, wusste aber, dass dies seine Wirkung auf die Null-A nicht verfehlen würde.
»Wenn du nur an deine Rache denkst, bist du bei uns an der falschen Adresse«, sagte Ainra. »Hass ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können. Wer sich zu sehr von seinen Gefühlen leiten lässt, vergisst, seinen klaren Verstand zu gebrauchen.«
Jetzt verstand Casaya überhaupt nichts mehr. War sie denn keine Null-Aphilikerin? Oder wollte sie ihn nur testen? Warum sonst behauptete sie, dass in der OGN kein Platz für Hass gegen die gesunde Menschheit war?
Da Casaya nicht wusste, wie er sich zu verhalten hatte, wandte er sich einfach ab. Er hörte, dass die Frau und der Alte hinter seinem Rücken flüsterten. Djak redete ihr zu. Endlich sagte Ainra: »Ich habe das vorhin nicht so gemeint, Casaya. Ich kann mir denken, wie du fühlst. Wollen wir Freunde sein?«
Er drehte sich zu ihr um und sah, dass sie ihm die Hand hinstreckte. Er ergriff sie und drückte sie fest. Als er sah, dass sie vor Schmerz zusammenzuckte, lockerte er sofort seinen Griff. Er würde es wohl nie lernen, einem Null-A richtig die Hand zu geben.
»Wenn du deinen Schmerz erst überwunden hast«, sprach ihm Ainra zu, »wirst du noch lernen, dass Hass nicht die treibende Kraft sein darf, um die Menschheit von der Geißel der Aphilie zu befreien. Wir dürfen die Aphiliker nicht für ihr Tun verantwortlich machen. Wir dürfen sie nicht richten, sondern müssen versuchen, ihnen zu helfen.«
Casaya nickte schweigend. Er war zufrieden, als sich die Frau von ihm abwandte. Die anderen Null-A, die, aus Bandarja kommend, hier eingetroffen waren, bestürmten Ainra mit Fragen.
Casaya hörte nur mit halbem Ohr hin. Er versuchte, sich über das Verhalten der Frau klar zu werden. Bei der Schulung hatte er gelernt, dass Hass und Liebe eng beieinander wohnten. Und wie diese nicht-aphilischen Emotio-Kretins lieben konnten, so hassten sie auch, besonders die herrschende Klasse der Aphiliker. Sie, Artefakte der Vergangenheit, hassten die neue Menschheit.
Und nun behauptete dieses Mädchen, dass die OGN nicht von Hass regiert wurde. Was für ein Widerspruch! Hassgefühle wären logisch gewesen. Aber Verständnis für einen Todfeind, sogar so etwas wie Mitgefühl – wenn er ihre Emotionen richtig gedeutet hatte –, das war ihm zu abstrakt. Gefühle waren eben etwas Abstraktes.
Er konzentrierte sich wieder auf die Vorgänge auf der Lichtung. Ainra hatte beschwichtigend die Hände gehoben und die Frager verstummen lassen.
»Ursprünglich hättet ihr euch bei Eldrins Faust einfinden sollen«, erklärte sie. »Doch die Situation hat sich verschärft. Durch den Großeinsatz der Aphiliker ist die Organisation nahezu zusammengebrochen. Wir müssen retten, was zu retten ist. Deshalb ist Roi Danton der Ansicht, dass alle Splittergruppen auf dem schnellsten Wege ins Unberührte Tal marschieren sollen. Dort steht ein Transmitter bereit, der uns nach Porta Pato abstrahlen wird.«
»Wo liegt das Tal mit dem Transmitter?«
»Ich werde euch führen«, sagte Ainra. »Roi Danton erwartet uns dort.«
Andor Casaya spannte sich an. Die Frau war ungeheuer wertvoll für ihn. Sie kannte das Versteck Roi Dantons in dem geheim gehaltenen Tal, in das alle Kranken Borneos gehen würden.
Momentan konnte er keinen Kontakt zu den Truppen aufnehmen, er besaß nicht einmal einen schäbigen Miniatursender. Aus der Befürchtung heraus, sich zu verraten, hatte er sich seiner gesamten Ausrüstung entledigt. Damit war er von seinen Leuten abgeschnitten und konnte nur hoffen, zufällig auf eine Patrouille zu stoßen.
»Überfall!«, gellte ein Schrei über die Lichtung.
Alles ging so schnell, dass Casaya erst begriff, als die ersten Thermoschüsse aufblitzten und zwei Null-A tödlich getroffen zusammenbrachen. Die anderen schwärmten aus, doch
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