Silberband 081 - Aphilie
zurück über die Schulter und sah den Thai in der Nähe des Tisches an einem Gerät hantieren. Ein warnendes Gefühl befiel ihn, und Sylvia prallte gegen ihn, als er unvermittelt stehen blieb.
»Was ist?«, fragte die Frau erschreckt.
Ringsum ertönte ein feines Zischen. Percellar sah auf. Der widerwärtige Geruch eines erstickenden Gases stieg ihm in die Nase. »Raus hier!«, würgte er hervor.
Sie stürzten auf den vorderen Ausgang zu. Dass sich die Tür, durch die sie gekommen waren, bereits hinter ihnen geschlossen hatte und dass Trailokanat sich noch in dem dahinter liegenden Raum befand, nahmen sie nur im Unterbewusstsein wahr.
Die Tür am Ende des Gangs ließ sich nicht öffnen. Sergio bearbeitete sie wie ein Wilder mit den Fäusten, aber sie widerstand seiner Anstrengung. Er spürte, dass ihn die Kräfte verließen. In seinen Lungen tobte ein quälendes Feuer. Neben ihm sank Sylvia mit einem seufzenden Laut zu Boden. Sergio beugte sich über sie, aber ein rasender Schwindel erfasste ihn. Vergeblich kämpfte er um sein Gleichgewicht und stürzte vornüber; er spürte schon nicht mehr, dass er auf den Boden prallte.
Man hat uns verraten!, war sein letzter Gedanke.
5.
Borneo
Sergio Percellar spürte, dass das Leben in seine Glieder zurückkehrte. Er spürte auch, dass er gefesselt war – und die schwarze Kapuze über dem Kopf hinderte ihn daran, seine Umgebung zu erkennen. Er wusste, was geschehen war, aber er kannte die Zusammenhänge nicht. Deshalb verhielt er sich still. Von Geburt an hatte er gelernt, seine Gefühle zu beherrschen, sobald die Gefahr bestand, dass Aphiliker in der Nähe waren.
Sergio glaubte, dass sich außer Sylvia Demmister und ihm mindestens zwei oder drei weitere Personen in dem Fahrzeug aufhielten, das er den Geräuschen nach als mittelgroßen Fluggleiter einstufte.
Seit Trailokanat Sylvia und ihn mit Gas betäubt hatte, waren sicherlich Stunden vergangen. Sergio horchte auf, als er zwei Männer flüstern hörte. Nur nicht zu erkennen geben, dass ich wach bin, schoss es ihm durch den Sinn. Gleich darauf brach das Flüstern ab, die Schritte zweier Personen näherten sich.
Sergio Percellar spannte die Muskeln. Er ahnte, dass eine Entscheidung gefallen war oder gleich fallen würde. Keinesfalls war er gewillt, kampflos aufzugeben. Er war 1,89 Meter groß und wirkte dürr, beinahe ausgezehrt. In Wirklichkeit aber war er ein einziges Muskel- und Sehnenbündel mit Reflexen, die ihm die Härte des Lebens selbst antrainiert hatte. Anders konnte ein Immuner inmitten von Aphilikern nicht überleben. Und Sylvia Demmister gehorchte ebenso wie er den Gesetzen des Menschendschungels.
Er wusste nicht, ob man sie wirklich töten wollte. Das hätte längst geschehen können. Aber er würde sich bis zum letzten Atemzug zur Wehr setzen. Sylvia und er waren das lebende Buch der Liebe, sie hatten die Pflicht, ihr Wissen zu bewahren und weiterzugeben, wenn die Zeit dafür gekommen war.
Mit einem Ruck wurde ihm die Kapuze vom Kopf gerissen. Tränen schossen ihm in die Augen. Sergio blickte in das breite, sommersprossige Gesicht eines ungefähr Fünfzigjährigen. Beide musterten sie sich einige Sekunden lang abschätzend, dann verzog sich das Gesicht des Mannes zu einem breiten Grinsen. »Hallo, Tiger«, sagte er mit keineswegs unangenehmer Stimme. »Ich weiß, dass du mir sofort an die Kehle fahren wirst, sobald ich deine Fesseln löse. Richtig?«
Percellar starrte den Mann unbewegt an. Seine Gedanken überschlugen sich. Das Grinsen und die Sprechweise des Unbekannten deuteten darauf hin, dass es sich um einen gefühlsbetonten Menschen handelte, aber das konnte auch Verstellung sein.
»Du kannst mir die Fesseln unbesorgt abnehmen«, seufzte Sergio endlich.
Sein Gegenüber lachte. »Ich weiß genau, was hinter deiner Stirn vorgeht, Sergio Percellar. Du hast gelernt, erst zuzuschlagen oder zu schießen und dann Fragen zu stellen. Sonst würdest du heute nicht mehr leben. Für deine Freundin gilt das Gleiche.«
Sergio wandte den Kopf und blickte hinüber zu Sylvia. Sie war von dem zweiten Mann ebenfalls von ihrer Kapuze befreit worden und hatte ihn kräftig in den Daumen gebissen.
Tapferes Mädchen!, dachte er. Ich liebe dich.
Der Mann vor ihm ging in die Hocke und sagte: »Ich heiße Jorge Berendsen, und mein Freund trägt den schönen Namen Zirkon Andra. Der Pilot unseres Gleiters ist Melim Saleddin. – Alle drei gehören wir zur Organisation Guter Nachbar.«
Percellar horchte auf.
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