Silberband 081 - Aphilie
gewesen bin.«
»Ganz wohl ist mir nicht dabei …«
»Rede keinen Unsinn, Kervin! Wenn du schon jetzt den Mut verlierst, kommen wir bestimmt nicht weit. Außerdem musst du immer daran denken, dass wir eigentlich überhaupt kein Risiko eingehen. Was kann uns denn noch passieren? Ins Stummhaus kommen wir auf jeden Fall, ob wir freiwillig gehen oder ob man uns erwischt. Wir haben also nichts zu verlieren – aber alles zu gewinnen.«
Das sah Kervin ein. Sein Gefühl der Unsicherheit wich einer gewissen Gleichgültigkeit. Außerdem wusste er, dass er sich auf Kathleen verlassen konnte. Sie war ihm in vielen Dingen überlegen.
Erst als es völlig dunkel geworden war, verließen sie ihre Wohnungen, die sie sorgfältig verschlossen. Morgen würden keine Rationen mehr eintreffen, denn sie sollten dann bereits im Stummhaus sein. Vielleicht kamen morgen aber auch schon die neuen Besitzer beider Wohnungen. Dann würde man Verdacht schöpfen. Aber bis dahin, so versicherte Kathleen, waren sie schon weit fort …
Sie begegneten niemandem, als sie über den Gang gingen. Und wennschon, sie kannten keinen, der mit ihnen im Haus wohnte. Man würde sich nicht einmal grüßen.
Auf der Straße war kaum Verkehr. Die Wohnsilos lagen außerhalb der Stadt. Ein Laufband brachte sie noch weiter hinaus, und bald verschwanden die Hochhäuser und machten Siedlungen Platz. Nachdem sie die Endstation erreicht hatten, mussten sie zu Fuß weitergehen.
Kervin begann wieder nervös zu werden. »Wenn eine Streife auftaucht und uns anhält?«, fragte er.
»Was denn für eine Streife? Die Polizei kümmert sich nicht um uns Alte, weil sie dafür nicht zuständig ist. Und wie Verbrecher sehen wir nicht gerade aus. Mach dir keine Sorgen, Kervin.«
In der Tat fuhr ein Streifenwagen langsam an ihnen vorbei, ohne anzuhalten. Das gleichgültige Gesicht eines Uniformierten sah sie zwar an, wandte sich aber gleich wieder ab.
Als die Häuser aufhörten, gab es nur noch die breite Straße mit den Leitschienen, die nach Norden führte. Von den Seiten mündeten die Umgehungsstraßen, und die ersten schweren Fahrzeuge tauchten auf. Zwar wurden Transporte über größere Entfernungen fast nur noch auf dem Luftweg mit Lastgleitern durchgeführt, aber es hatte sich als rationeller erwiesen, Frachten über kürzere Strecken auf den Straßen zu transportieren. So gab es lange Wagenzüge, die von einem Leitfahrzeug gezogen wurden, das auf der Schiene lief. Eigentlich wäre eine Besatzung überflüssig gewesen, aber in letzter Zeit häuften sich räuberische Überfälle, die einen Begleitschutz erforderlich machten.
»So ein Ding willst du anhalten?«, erkundigte sich Kervin skeptisch.
»Wir werden es jedenfalls versuchen – etwas später. Mich hat man schon mehr als einmal mitgenommen, ohne dass ich fragen musste. Die sind alle scharf auf Geld.«
»Und wenn sie uns alles abnehmen?«
Kathleen schüttelte den Kopf. »Das tun sie nicht, weil sie meist vom Staat angestellt sind. Jeder würde die Altersration aufs Spiel setzen – und wahrscheinlich käme der Betreffende dann früher ins Stummhaus, als ihm lieb wäre. Und im Übrigen werden wir marschieren, falls niemand hält.«
Sie blieben dicht am Straßenrand. Zwei alte Leute, die einen Ausflug in die nächste Siedlung unternahmen – das gab es.
Hinter ihnen spannte sich eine schimmernde Leuchtkuppel über den Horizont. Das war Melbourne, die Stadt, die sie nun für immer verlassen wollten. Sie wies ihnen den Weg, denn sie lag genau im Süden, und sie wollten erst nach Norden, um später nach Osten oder Westen abzubiegen. Das hing von den Umständen ab.
Kervin gewöhnte es sich ab, ständig nach hinten zu sehen, wenn sich ein Transporter näherte. Kathleen kümmerte sich überhaupt nicht um sie und tat, als gäbe es sie gar nicht. Sie redete, um ihn abzulenken, und berichtete von Dingen aus ihrer Vergangenheit, die ihn nicht interessierten.
Nach Mitternacht hörten sie, dass einer der Transporter sein Tempo herabsetzte, und als sie zur Seite blickten, hielt das Fahrzeug an. Automatisch glitt das Seitenfenster der Kabine herab. Ein Kopf kam heraus, das Gesicht war kaum zu erkennen.
»Ziemlich spät für einen Spaziergang, was …?«
Kathleen blieb stehen. »Ist kein Spaziergang. Wir wollen zu Verwandten. Terence, wenn Sie das Kaff kennen.«
»Warum nehmen Sie nicht den öffentlichen Gleiter?«
Kathleen Toaklander hob die Schultern und ließ sie langsam wieder sinken.
»Ich nehme Sie mit, wenn
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