Silberband 086 - Inferno der Dimensionen
dass sie nicht liquidiert werden sollten. Stattdessen händigten die Ka-zwos Süßigkeiten aus, kleine Tabletten …«
»Viereckig?«, fiel ihm Reginald Bull ins Wort.
Strout machte große Augen. »Das wissen Sie schon? Ja, viereckig waren die Dinger, kleine, hellgraue Dragees. Jeder solle eines schlucken, verlangten die Ka-zwos. Die Aphiliker sind gewohnt zu tun, was die Ka-zwos ihnen auftragen.«
Strout kratzte sich am Kopf. »Ich habe natürlich keine Beweise für meine Theorie«, brummte er missmutig. »Aber im Bahnhof waren mindestens fünf- bis sechstausend Leute, und ebenso viele Narren standen wenige Stunden später im Sombrero-Bezirk auf den Straßen und starrten zum Himmel hinauf und stießen verzückte Schreie aus, bis ein Regiment Ka-zwos sie abräumte.«
»Sie vermuten richtig«, erklärte ihm Bull. »Der Zusammenhang besteht. Haben Sie selbst etwa auch eines der Dragees geschluckt?«
Leven Strout zog die Brauen in die Höhe. »Ich bin nicht feige, Sir«, antwortete er, »aber wenn ein Ka-zwo mir sagt …«
»Haben Sie?«
»Ja, natürlich.«
»Und? Mit welcher Wirkung?«
Strout schüttelte den Kopf. »Nicht die geringste.«
Bull ging zwei Schritte in Richtung Tür und dann wieder zurück. »Das kann viel bedeuten«, murmelte er. »Auf jeden Fall lassen Sie sich von Santarem in die Kur nehmen. Er soll Ihr Innenleben analysieren. Ihre Information ist äußerst wichtig …«
»Ich war noch nicht ganz fertig, Sir«, unterbrach Strout. »Gestern Nacht machte ich eine zweite Beobachtung. Am Rand des Gettos, wo die Ka-zwos kaum mehr erscheinen und das Gelände der LdG noch nicht angefangen hat. Im Niemandsland sozusagen. In diesen Gegenden wurde früher das Buch vertrieben, erinnern Sie sich?«
»Ich weiß«, antwortete Bull.
»Nun, die Händler sind wieder da«, sagte Strout. »Diesmal vertreiben sie keine Bücher, sondern kleine, hellgraue, viereckige Dragees.«
Reginald Bull blieb abrupt stehen und starrte Strout verblüfft an. »Händler? Keine Roboter?«
»Richtige Händler, Sir. Menschen. Aphiliker. Ich schnappte mir einen von den Kerlen und wollte ihn ausquetschen. Aber selbst in der höchsten Todesangst behauptete er, seinen Lieferanten nicht zu kennen. Er hat das Zeug angeblich zu Hause gefunden, mit einer Druckfolie, auf der stand, dass er die Dragees für einen halben Solar pro Stück glänzend losschlagen kann.« Strout stieß ein glucksendes Lachen aus.
»Was gibt's da zu lachen?«, fragte Bull.
»Der Name. Wissen Sie, wie das Zeug im Handel genannt wird?«
»Woher auch?«
»Es steht auf den Folien, Sir. Das Wirkungsprinzip der Droge ist die Parapsychische Intensiv-Labilisierung Latenter Emotionen. Wenn sie das mit den Anfangsbuchstaben abkürzen, haben Sie – die PILLE!«
Die Belegschaft der Werft Tafeng wurde nach Hause geschickt, ins Getto von Shanghai. Auf dem Werftareal blieb nur eine kleine Kernmannschaft zurück, die zu ermitteln versuchte, wann Tafeng den Betrieb wieder aufnehmen könne.
Leven Strout war inzwischen wieder nach Terrania City abgereist. Er ließ zwei überaus nachdenkliche Männer zurück: Reginald Bull und Vater Ironside, die sich nicht erklären konnten, wer hinter der merkwürdigen Drogenkampagne steckte und welche Ziele derjenige verfolgte. Der Gedanke, die aphilische Regierung selbst sei Hersteller und Großverteiler der PILLE, tauchte kurzfristig auf, wurde aber wieder verworfen. Es gab kein Motiv.
Oliveiro Santarem, der Leven Strout untersucht und in seinem Blut tatsächlich noch Spuren der Droge gefunden hatte, leistete am Morgen nach Strouts Abreise Bull und Ironside Gesellschaft beim Frühstück. »Das Merkwürdige ist«, sagte er ohne jegliche Einleitung, »dass der Name wirklich einen Sinn ergibt.«
»PILLE?«, fragte Bull.
»Ja. Nach unseren bisherigen Erkenntnissen können wir Emotionen durchaus als etwas Labiles bezeichnen. Der eine hat sie in starkem Maße, der andere weniger. Mal stehen sie im Vordergrund, mal sind sie kaum zu bemerken. Den Zustand der Aphilie könnte man auch als einen Zustand stabiler Emotionen beschreiben, und zwar auf dem Nullpunkt stabil. Dass die Emotionen auf dem stabilen Nullpunktniveau auch als latent bezeichnet werden können, ist nahezu trivial. Nun kommt also jemand und erweckt die Emotionen mit einer intensiv wirkenden parapsychischen Methode wieder zum Leben. Er führt eine parapsychische Intensiv-Labilisierung latenter Emotionen durch. Das klingt zwar geschwollen, trifft aber durchaus den Kern der
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