Silberband 088 - Der Zeitlose
der PILLE längst nachgelassen hatte.
Kanube befand sich allein in einem Dreibettzimmer. Um ihn herum sah es unaufgeräumt aus. Niemand schien sich um ihn zu kümmern. Es gab kein Fenster, nur eine ausgeschaltete Bildwand. Er entdeckte den Sensor dafür über dem Bett, aber als er ihn betätigte, geschah nichts. Vermutlich war die Bildwand defekt.
Kanube schwang sich ächzend vom Bett. Er trug noch die Kleidung, in der ihn der Ka-zwo aufgegriffen hatte.
Über der Tür entdeckte er eine Kalenderuhr. Sie war beleuchtet. Obwohl das Licht der Vernunft einst eine neue Zeitrechnung erklärt hatte, beginnend ab jenem Tag, als der Planet Erde seine neue Umlaufbahn um die Vernunft spendende Sonne Medaillon eingenommen hatte, hatte diese sich nie wirklich durchgesetzt. Aphiliker waren eben auch Gewohnheitstiere.
4. Januar 3582, las Kanube irritiert.
Er traute seinen Augen nicht. Es gab nur die Erklärung, dass die Uhr falsch justiert war.
Bereits am 2. September 3581, einen Tag nachdem ihn der Ka-zwo aufgegriffen hatte, war nach Ansicht der Wissenschaftler der Augenblick gekommen, da die Erde in den Schlund stürzen würde.
Es war auch unvorstellbar, dass er die ganze Zeit bewusstlos zugebracht hatte, ohne zu verhungern.
Die Uhr ging falsch!
Kanube umrundete sein Bett. Er war durstig und hungrig, aber auf keinem der Tischchen neben den Betten stand etwas.
Ohne zu zögern, öffnete er die Tür und trat auf den Korridor hinaus. Niemand war in der Nähe. Die Stille begleitete ihn auf den Gang hinaus, sie hüllte ihn förmlich ein und zerrte an seinen Nerven. Die eigenen Schritte kamen ihm übermäßig laut vor.
Am Ende des Ganges befand sich ein großes Fenster, durch das Tageslicht hereindrang. Kanube blinzelte. Er wollte nicht glauben, was er sah. Aber eine Täuschung war unmöglich.
Es schneite!
Er war fassungslos, ging einige Schritte weiter und öffnete die nächste Tür. Das Zimmer dahinter war verlassen.
Kanube inspizierte alle Räume bis zum Ende des Ganges, aber er fand nirgends einen Menschen. Schließlich blieb nur noch der Behandlungsraum. Kanube betrat ihn. Neben dem Eingang stand ein Ka-zwo. Kanube sah mit einem Blick, dass der Roboter desaktiviert war.
Der Behandlungsraum besaß ein Oberlicht. Es war an einer Stelle zerbrochen. Schneeflocken trieben herein. Kanube erschauerte. Es war kalt. Die Klimaanlage schien nicht zu funktionieren.
Womöglich war die Heilanstalt von einer Menge wütender Menschen gestürmt worden. Oder hatten die Patienten rebelliert und waren ausgebrochen?
Beide Vorstellungen kamen nur deshalb bedingt in Frage, weil sie Kanubes eigenes Schicksal nicht einwandfrei erklärten. Also musste etwas anderes geschehen sein.
Bei seiner Einlieferung hatte Kanube registriert, dass sein Zimmer in der vierten Etage lag. Jetzt erschien ihm das Haus verlassen, als wären alle Menschen vor einer unbeschreiblichen Gefahr geflohen.
Als er sich umdrehte, fiel sein Blick auf die Kalenderuhr über dem Eingang des Behandlungsraums.
Auch sie zeigte den 4. Januar 3582. Vielleicht, dachte Kanube mit einem Anflug des Entsetzens, gingen die Uhren richtig.
Er lief zum Ende des Korridors und blickte aus dem Fenster. Viel konnte er nicht erkennen, denn auf der anderen Straßenseite erhob sich der mächtige Komplex des Welternährungszentrums in den Himmel. Alle Hochenergiestraßen in der Umgebung waren jedoch ausgeschaltet, und vor der Anstalt war niemand zu sehen.
Kanubes Blicke glitten über die Fenster des Welternährungszentrums, aber er vermochte keine Bewegungen auszumachen. Auch dort drüben, in seiner unmittelbarer Nachbarschaft, schien sich niemand mehr aufzuhalten.
Warum?, überlegte der Afroterraner angestrengt. Hatte man diesen Bezirk von Terrania City evakuiert?
Dafür musste schon ein schwerwiegender Grund vorliegen.
Kanube verbannte alle diese Gedanken. Er durfte sich nicht in Spekulationen verlieren, sondern musste möglichst schnell die Wahrheit herausfinden, damit er sich auf die Gegebenheiten einstellen konnte.
Auf der Straße standen mehrere Gleiter und Transportwagen, zwei davon waren umgekippt. Diese Feststellung half ihm nicht weiter. Bereits vor seiner Einlieferung war es in verschiedenen Stadtteilen zu schweren Zusammenstößen gekommen. Dabei hatte der Mob genug Zerstörungen ausgelöst.
Kanube verließ den Beobachtungsplatz am Fenster. Er musste über die Nottreppe in das nächsttiefere Stockwerk, denn der Lift funktionierte nicht. In der dritten Etage befanden sich die
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