Silberband 095 - Mensch aus dem Nichts
unbelasteter, als er Howalara erreichte. Sein rechter Arm hing schwer an seiner Seite, alles Leben schien aus ihm gewichen zu sein. Vergeblich versuchte der Ingenieur, das zu ignorieren.
Kurz erinnerte er sich an alte Erzählungen von indischen Fakiren auf Terra. Diese behaupteten, es habe Männer gegeben, die sich selbst verstümmelt hatten, um ihrer religiösen Überzeugung zu huldigen. Einige von ihnen hatten diesen Berichten zufolge einen Arm so lange in die Höhe gehalten, bis er verdorrt war.
Wegenrat blieb unter einem verkrüppelten Baum stehen und hob den rechten Arm senkrecht in die Höhe. Schon bald spürte er, wie er schwerer und schwerer wurde. Der Arm schmerzte immer heftiger und sank schließlich wie von selbst wieder nach unten.
Nun tobte das Blut durch die Adern. Stechende Schmerzen zogen sich von den Fingerspitzen bis zur Schulter hoch, und Wegenrat bereute, was er getan hatte. Das Ergebnis seines Experiments war für ihn zugleich ein Beweis dafür, dass die Erzählungen von den Fakiren unmöglich wahr sein konnten. Er konnte sich jedenfalls nicht vorstellen, dass ein Mensch solche Qualen auszuhalten vermochte, bis der Arm abstarb. So wurde er das Howalgonium nicht los.
Er lief durch die Außenbezirke. In einigen Gärten arbeiteten die Familien daran, Gemüse und Obst heranwachsen zu lassen. Die Versorgungslage war schlecht. Auf dem trockenen Boden gedieh nur wenig. Goorn II war vor vielen Jahrzehnten auch nicht wegen seiner landwirtschaftlichen Möglichkeiten, sondern allein wegen der riesigen Howalgonium-Vorkommen besiedelt worden. Die Menschen auf diesem Planeten waren stets von außen versorgt worden, denn Kosten hatten nicht die geringste Rolle gespielt.
Einige Männer grüßten Wegenrat, aber er beachtete sie nicht. Das hatte er nie getan, und er dachte auch in seiner Notlage nicht daran, das zu tun.
Dabei fiel ihm ein, dass er Hilfe benötigte. Wenn er seinen Arm abtrennen wollte, musste das ein Helfer übernehmen. Doch an wen sollte er sich wenden? Piet war sein einziger Vertrauter gewesen.
Wegenrat betrat das Haus, in dem er wohnte.
»Tag, Vater«, sagte seine Tochter. Sie saß am Fenster und löste mit einem Messer mühsam das Mark aus Selbanpflanzen heraus. Es war essbar und außerordentlich wohlschmeckend. Nur in tagelanger Arbeit war jedoch genügend Mark zu gewinnen, dass zwei oder drei Menschen davon satt wurden.
Jaan Wegenrat antwortete mit einem mürrischen Brummen und wollte die Treppe zum ersten Stockwerk hinaufsteigen.
»Seit wann trägst du Handschuhe?«, rief seine Tochter erheitert.
Er blieb stehen und runzelte die Stirn. »Das geht dich überhaupt nichts an«, erwiderte er grob. »Kümmere dich um deinen eigenen Kram und lass mich zufrieden.«
Sie legte die Schale mit den Pflaumen zur Seite und lächelte. Daya war eine schöne, dunkelhaarige Frau mit intelligenten und wachen Augen. »Brauchst du Hilfe?«, wollte sie wissen.
»Blödsinn«, antwortete er abweisend. »Wie kommst du darauf?«
»Ich sehe es dir an.«
Jaan gab einen unbestimmbaren Laut von sich und ging weiter. Krachend fiel die Tür hinter ihm zu.
Kaum war er allein, riss er sich den Handschuh herunter. Er biss die Zähne zusammen, und Tränen schossen ihm in die Augen, als er seine Hand sah. Den Anblick ertrug er nicht.
Schwer atmend ging er auf den Balkon hinaus. Von hier aus hatte er eine gute Aussicht über die Außenbezirke von Howalara hinweg bis hin zu dem weit entfernten Larenstützpunkt. Er fühlte, dass von dort etwas ausging, konnte das aber nicht definieren oder auch nur annähernd beschreiben..
Die rechte Hand juckte. Er rieb sie sich am Körper, und dann plötzlich streckte sich der Howalgoniumarm wie von selbst aus und zeigte zu dem Stützpunkt hinüber.
Entsetzt blickte Wegenrat auf den Arm. Er sah, dass seine Finger zitterten, die wieder in dem Handschuh steckten, doch er spürte es nicht. Er legte die linke Hand auf die Armbeuge und presste den Arm nach unten. Dann schob er die rechte Hand in die Hosentasche.
Der Howalgoniumarm entwickelte ein eigenes Leben. Wegenrat stemmte sich dem entgegen, spürte aber, dass er das alles nicht lange ertragen würde.
In dem Moment betrat Daya den Garten und blickte zu ihm herauf. Wegenrat wurde blass. Sie durfte nicht sehen, was geschah. Keuchend drehte er sich um und ging in sein Zimmer zurück. Er warf sich auf sein Bett und presste das Gesicht in die Kissen.
Sein Körper schüttelte sich und zuckte wie im Fieber.
Angesichts der Gefahr,
Weitere Kostenlose Bücher