Silberband 095 - Mensch aus dem Nichts
aufgewacht war, intensiv nach.
Natürlich weiß ich, dass ich nicht verrückt bin. Ich, Hubert Kelassny, erkenne meine Umwelt exakt und bediene mich mühelos aller gewohnten Einrichtungen. Ich wollte schwimmen und habe den Swimmingpool auch gefunden, und ich spüre die nachwirkende Strahlung des Solariums auf meiner Haut.
Ich erinnere mich an den Moment, in dem ich mich im offenen Schott dieses Apartments wiederfand. Ich lief los, von einer unerklärlichen Kraft getrieben, bis ich die Erholungsräume fand.
Wo bin ich?
Nach allem, was ich gesehen habe, in einer Raumstation oder einem verlas senen Raumschiff.
Wie bin ich hierher gekommen? Warum wachte ich erst in diesem Bett auf, das ich allem Anschein nach selbst zurechtgemacht hatte?
Ich bin nicht allein!
Ich spüre meinen Körper. Ich, Hubert Kelassny, hatte eben die völlige Kon trolle über diesen biologischen Mechanismus. Mein Verstand funktionierte wie stets. Nun aber merke ich, dass etwas geschieht. Ein zweiter Verstand scheint in meinem Kopf zu wohnen, als hätte ich zwei verschiedene Gehirne. Ein einziger Körper, von zwei verschiedenen Persönlichkeiten beherrscht?
Ich spüre aufkommende Panik …
Ganz ruhig bleiben! Nicht aufspringen, dies ist keine Lösung. In mich hin einhorchen, suchen, tasten, finden … Ich muss mich zur Ruhe zwingen, obwohl der andere sich aus verborgenen Tiefen des Verstandes heraufschiebt.
Ist ein Dialog möglich?
Ich versuche es.
Der Andere: Ich bin Abd el Pumán. Ich nenne mich Abd el Pumán. Wer bist du? Wir sind zusammen in einem Körper.
Ich: Hubert Kelassny. Biologe. Ich bin eben aufgewacht und war schwimmen.
Der Andere: Deswegen ist mein Haar so feucht. Ich glaube, ich werde verrückt. Was hast du Mistkerl in meinem Körper zu suchen?
Der Körper krümmt sich, federt zurück in die Embryonalhaltung. Der andere Verstand fürchtet sich und verbirgt seine Furcht – oder versucht es – hinter markigen Worten. Kelassny befiehlt den Muskeln bewusst, sich wieder zu strecken. Sein Bewusstsein neutralisiert die Impulse des anderen. Den lautlosen Kampf von fünf Sekunden Dauer gewinnt schließlich Kelassny. Der Körper liegt endlich, vor Anstrengung schweißgebadet, wieder ausgestreckt.
Der Andere: Na schön, die Muskeln gehorchen dir, Kelassny. Dafür weiß ich, wo wir sind. Bist du neugierig?
Ich: Nicht besonders. Nur der Umstand, dass wir zu zweit in einem Körper stecken, macht mir Sorge. Bist du ein Mutant oder so etwas?
Der Andere: Nein. Aber ein Klasse-Astronom! Der beste in dieser Raumstation. Warst du es, der dieses furchtbare Bier getrunken hat?
Ich: Bier? Welches Bier?
Gedankliches Schweigen. Nur eine Art Hintergrundgeräusch ist zu spüren. Die Unterhaltung der beiden Persönlichkeiten fand nicht in einzelnen Sätzen statt, sondern sehr viel schneller und mit viel höherer Informationsdichte ausgestattet. Es gab fast keine Redundanz, eine lückenlose Kette von Bildern, Bedeutungen, ineinander verketteten Fakten und Informationen wurde ausgetauscht. Die Verständigung war tief, schnell und total – und erschreckend in ihrer Deutlichkeit. Fast gleichzeitig spüren beide Persönlichkeiten diese Gefahr. Ein Hauch von Abwehr und Ekel scheint durch die Überlegungen zu ziehen. Das Schweigen der Erkenntnis und des Schreckens geht vorüber.
Ich: Du hasst Bier. Ich kann mich nicht erinnern, Bier getrunken zu haben. Also …
Der Andere: Dunkles Bier!
Ich: Dann gibt es noch jemanden zwischen uns? Ein Körper mit dreifachem Verstand?
Ein Anderer: Richtig. Hier bin ich, Chung Lo, der Mechaniker. Ich habe dieses verdammte Bier getrunken. Ich hoffe, ihr prügelt mich nicht deswegen.
Wieder Schweigen. Dann, als sich die drei Persönlichkeiten halbwegs miteinander abgefunden haben …
Ein abermals Anderer: Wir sind vier. Es wird sich herausstellen, ob das zweckmäßig ist. Wir sollten wählen, wer zu schlafen und wer zu agieren hat. Übrigens, ich bin Pynther Äslinnen, Positroniker. Ich werde für uns die Station manipulieren. Ich kenne alles, was es auf diesem Gebiet gibt.
Plötzlich füllen vier komplexe gedankliche Persönlichkeiten jenen imaginären Raum aus, den sie als den Sitz ihres Verstandes betrachten. Jedes dieser Elemente trägt unverwechselbar die Kennzeichen der gesamten Persönlichkeit, wie eine Eizelle oder eine überaus perfekte Beschreibung eines Menschen.
Chung Lo:
Begabt, aber zurückhaltend und zaudernd. Er schenkte niemandem sein Vertrauen, schon gar nicht den drei anderen, mit
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