Silberband 096 - Die Gravo-Katastrophe
blickte die Bewusstlosen an, Niedergeschlagenheit übermannte ihn. Er hatte nicht gewollt, dass es so endete. Sicher – in wenigen Stunden würden seine Freunde wieder zu sich kommen und außer einem leichten Schädelbrummen keine Nachwirkungen verspüren. Aber wie blieb er in ihrer Erinnerung zurück? Als Verräter?
Er würde sich dann nicht mehr verteidigen können. Denn ihn, Geoffry Abel Waringer, würde es nicht mehr geben. Wenigstens nicht mehr in der Form, in der ihn jeder kannte.
Es kostete ihn Mühe, sich loszureißen. Schwerfällig wandte er sich um und tappte wie ein Automat den breiten und hell erleuchteten Gang entlang, der zu seinem Labor führte. An seinem Entschluss hatte sich durch den Zwischenfall nichts geändert. Seine Lebensdauer zählte nach Jahrhunderten oder Jahrtausenden. Er sehnte sich nicht danach, noch Ewigkeiten zu durchleben, die ihm weiter nichts brachten als immer wieder dieselben Erfahrungen, nur manchmal in ein neues Gewand gekleidet. Sein Bewusstsein verlangte nach neuen Horizonten.
Raphael hatte ihm ein Beispiel gegeben. Die von der Maschine erzeugte Intelligenz aus Formenergie hatte sich aufgelöst und war zu ihrem Schöpfer zurückgekehrt, hatte sich mit ihm vereinigt. Der Schöpfer aber war NATHAN, der größte Rechner, den die Menschheit jemals hervorgebracht hatte. Geoffry Waringer hatte die Voraussetzungen eingehend geprüft und sich ausgerechnet, dass es die Möglichkeit gab, Raphael zu folgen. Die Operation, die er vorbereitet hatte, würde sein Bewusstsein freisetzen, in digitale Form umwandeln und dem Rechner zuführen.
Diesen Plan hatte er seinen Freunden vorgetragen. Sie waren nicht damit einverstanden gewesen.
Vor dem Eingang zum Labor zögerte Waringer. Er schüttelte den Kopf, als wolle er eine lästige Erinnerung von sich schleudern, dann erst ging er weiter.
Gewohnheitsmäßig überflog er den Raum mit einem prüfenden Blick. Sofort wurde ihm klar, dass es in der Durchführung seines Vorhabens eine Verzögerung geben würde. Das Alarmsignal leuchtete.
Während der Reise durch Raum und Zeit rekapitulierte Grukel Athosien, was er über sich wusste. Er war eine neue Art von Geschöpf. Die Ansicht, dass er ganz einfach eine Wiedergeburt des ehemaligen terranischen Abwehrspezialisten gleichen Namens sei, war falsch. Denn abgesehen davon, dass er, eingehüllt in ein Feld höherdimensionaler Energie, durch den Hyperraum raste, fühlte er sich genau wie jener Athosien, dessen Erinnerung er mit sich herumtrug. Aber nein, so hatte ES ihn wissen lassen, er war ein Konzept. Außer dem seinen gab es in diesem Verbund sechs weitere Bewusstseine. Wenn er sich darauf konzentrierte, konnte er sie wahrnehmen – weit im Hintergrund, beinahe jenseits seines Mentalhorizonts, sozusagen.
Beizeiten würde es zu einer Verständigung kommen, hatte ES gesagt. Die sieben Bewusstseine würden zusammenarbeiten. Normalerweise würde Grukel Athosien das Kommando haben. Aber es erschien auch möglich, dass eines der anderen Bewusstseine den Befehl übernahm, denn jedes war ein Spezialist auf seine eigene Art und Weise. Grukel zweifelte nicht daran, dass diese neue Art von Geschöpf, dessen Bestandteil er war, dem normalen Menschen weit überlegen sein müsse. Aber er sah zugleich Schwierigkeiten. Eines der Bewusstseine war das einer jungen Frau. Nach Grukels Überzeugung war die Denkweise einer Frau derart verschieden von der eines Mannes, dass es unweigerlich Verständigungsprobleme geben musste.
Immerhin war er neugierig auf dieses Leben.
Die Vorgeschichte war so atemberaubend ungeheuerlich, dass es schwer fiel, sie zu glauben. Die Erde war in den ›Schlund‹ des Mahlstroms gestürzt. ES hatte befürchtet, dass auf der anderen Seite, also beim Austritt aus dem gigantischen Himmelstransmitter, ein übergeordnetes Wesen mit etwa denselben Fähigkeiten wie ES sich der Menschheit bemächtigen würde. ES hatte demzufolge die Menschen in sich aufgenommen – Leib, Seele, einfach alles. Die materielle Substanz der Menschen erfuhr danach eine Umwandlung und wurde in einem gewaltigen Hyperenergietank gespeichert. Die Bewusstseine verschmolzen mit ES. Und genau da lag das Problem!
Zwanzig Milliarden Zusatzbewusstseine erzeugten in dem Überwesen eine Spannung, die nach Entlastung drängte. ES war gezwungen, die akkumulierten Bewusstseine wieder abzugeben. Ein paar hundert oder tausend hatten den Verbund schon aus eigenem Antrieb verlassen, erst dann war der Vorgang unter Kontrolle
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