Silberband 096 - Die Gravo-Katastrophe
die Frau mental zu stabilisieren, war ein großer Schritt vorwärts getan. Mentalstabilisierte unterlagen dem Einfluss der Kleinen Majestät nicht mehr.
In der Gegend des ehemaligen Nowosibirsk setzte Walik den ersten Funkspruch an Jentho Kanthall ab. Er berichtete vom Erfolg des Unternehmens und fragte nach Neuigkeiten von Luna. Die Antwort kam nur wenige Sekunden später: »Von Luna nur Unerfreuliches. Keine Funkverbindung – aber NATHAN hat mehrere Funktionen wieder eingestellt.«
Reginald Bull zwang sich zur Ruhe. Die Erfahrung lehrte ihn, dass von vornherein im Nachteil war, wer seine innere Erregung nicht unterdrückte. Er musterte den Fremden, ein hässliches Mannsbild – groß, dürr, halb vornübergebeugt, schmutzig, ungepflegt und abstoßend mit dem etwas überheblichen Grinsen, das seine gelben Pferdezähne entblößte. Er war die Art von Person, gegen die man instinktiv Abneigung empfand. Bully hütete sich jedoch davor, den Mann zu unterschätzen.
»Wer sind Sie?«, fragte er.
»Ich bin Grukel Athosien. Und in Ihnen erkenne ich Reginald Bull wieder, den ehemaligen Führer der Aphilie. Hinter Ihnen steht Roi Danton.«
»Das erspart mir die Vorstellung«, konterte Bull grimmig. »Was wollen Sie hier?«
»Nachsehen, ob sich NATHAN für meine Zwecke einsetzen lässt.«
Die Kaltblütigkeit der Antwort nahm Bully fast den Atem. »Für Ihre privaten Zwecke?«, setzte er hinzu.
Athosien schüttelte amüsiert den Kopf. »Ich bin nicht selbstsüchtig, falls Sie das meinen.«
»Wofür ich Sie halte, spielt keine Rolle. Wichtig ist nur, dass NATHAN gebraucht wird. Dringend, aber gewiss nicht für Ihre Bedürfnisse.«
»Wofür sonst?«
»Für die Befreiung der Erde – falls Ihnen das etwas sagt.«
»Auf Terra leben keine Menschen mehr. Wieso wollen Sie die Erde befreien?«
Die Frage brachte Reginald Bull nur einen Atemzug lang aus dem Gleichgewicht. »Die Menschheit wird zurückkehren. Es ist wichtig, dass auf der Erde dann kein fremder Einfluss herrscht.«
Athosien lächelte nicht mehr. »Woher wird die Menschheit zurückkehren?«, fragte er.
Nur für den Bruchteil einer Sekunde erwog Bull die Möglichkeit einer ausweichenden Antwort, so zu tun, als wisse er selbst alles genau, wolle es jedoch für sich behalten. »Ich weiß es nicht«, bekannte er jedoch. »Die SOL ist auf der Suche und wird beizeiten fündig werden.«
»Das glaube ich nicht.«
»Mir ist egal, was Sie glauben! Ich weiß nicht, wie Sie sich auf Luna eingeschlichen haben und wie Sie es fertig bringen, in der Schaltzentrale eine energetische Barriere aufzubauen. Im Augenblick scheinen Sie uns gegenüber einen Vorteil zu haben. Trotzdem warne ich Sie: Geben Sie Ihre fantastischen Pläne auf, oder Sie werden Ihr blaues Wunder erleben!«
Als Reaktion auf seine wütenden Sätze hatte Bully eigentlich das überhebliche Grinsen erwartet, in dem der Fremde Meister zu sein schien. Der blieb indes ernst. »Ich kann nicht aufgeben, denn ich bin verpflichtet. Ich werde erforschen, inwieweit sich die Inpotronik für meine Zwecke verwenden lässt.« Jetzt erst flackerte das Grinsen wieder auf. »Vielleicht haben Sie Glück. Womöglich stellt sich heraus, dass sich mit NATHAN nichts anfangen lässt. Dann sind Sie mich in ein paar Tagen los.«
»Ich habe nicht die Absicht, ein paar Tage zu warten«, erklärte Reginald Bull ungewöhnlich hart. »Jeder, der uns hier im Kram herumpfuscht, ist unser Gegner. Sie werden sich also Ihrer Haut wehren müssen, sobald Sie die Barriere abschalten.«
»Es würde mir Leid tun, wenn es zwischen uns zu Feindseligkeiten käme«, sagte Athosien.
Bull ging darauf nicht ein. Er sah, dass Geoffry sich endlich regte. »Geben Sie den Mann heraus!«, verlangte er.
Athosien wandte sich um und beobachtete, wie der bis eben noch Bewusstlose sich langsam aufrichtete. »Da Sie mir drohen, sollte ich Waringer eigentlich als Geisel behalten. Aber Sie sollen sehen, dass ich friedlich mit Ihnen auskommen möchte.«
Er trat weit von der Barriere zurück. An einer kleinen Konsole – einer anderen als der, die er zum Einschalten des Schutzschirms benutzt hatte – machte er sich kurze Zeit zu schaffen. In dem Energiefeld erschien eine Strukturlücke. Sie war groß genug, einen kräftigen Mann hindurchzulassen.
»Nur einer von Ihnen beiden darf passieren.«
Bull schob sich durch die Lücke. Waringer hatte sich vollends aufgerichtet. »Lass nur, ich kann schon«, ächzte der Wissenschaftler, als Bully ihn stützen
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