Silberband 098 - Die Glaswelt
Toboai konnte nicht geringfügig sein.
»Ich danke für die ehrende Gabe.« Er legte das Geschenk neben sich auf den Thron. »Die Krieger der Toboai mögen meiner Gunst versichert sein. Was kann ich für sie tun?«
»Wir alle hatten einen Traum«, eröffnete Looja.
»Einen Traum?!«, fuhr ihm Mitsino überrascht ins Wort.
»In zwei aufeinanderfolgenden Nächten haben wir das Paradies gesehen.«
Mitsino trat der Schweiß auf die Stirn. Er hatte geglaubt, nur die Iti-Iti seien mit dem Anblick des zukünftigen Paradieses gesegnet worden. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, dass sein Stamm als Erster in das versprochene Paradies einziehen und von da an die unbestrittene Vormachtstellung unter den Mucierern einnehmen würde. Sollten diese Hoffnungen umsonst gewesen sein?
»Ihr habt vom Paradies geträumt«, sagte er streng. »Und deswegen kommt ihr zu uns?«
»Ja, deswegen«, bestätigte der Allerälteste der Toboai. »Denn in unserem Traum fordert eine unbekannte Gottheit uns auf, die Götter darum zu bitten, dass sie uns in dieses paradiesische Land führen. Wir hatten aber gehört, dass Mitsino, der Ehrfurcht gebietende Allerälteste der Iti-Iti die besten Beziehungen zu den Göttern unterhalte. Wir sind gekommen damit er in unserem Namen bitte.«
Mitsino fühlte sich hin und her gerissen zwischen Träumen von der Vormachtstellung der Iti-Iti und der Auszeichnung, die ihm persönlich zuteil wurde, indem der Allerälteste eines anderen Stammes ihn bat, in seinem Namen mit den Göttern zu verhandeln. Schließlich verzichtete er auf den Triumph der Iti-Iti und nahm die Bestätigung seiner eigenen Unersetzlichkeit.
»Der ehrwürdige Looja und seine tapferen Begleiter mögen sich als unsere Ehrengäste betrachten. Mitsino schenkt ihren Wünschen sein Ohr und wird noch an diesem Tage mit den Göttern sprechen.«
»Da kommt eine von den Fledermäusen!« Kherub Palm deutete durch den Sonnenglast zum Felsen der Iti-Iti hinauf.
Claudio Ektem schaute ebenfalls auf.
Eine Gestalt fiel längs der Felswand in die Tiefe. Dann entfalteten sich die Schwingen, der Mucierer ging in den Schwebeflug über und näherte sich dem Lager am Fuß des Tafelbergs.
»Das ist Mitsino – ich erkenne ihn«, sagte Ektem. »Ich wollte, du würdest ihn nicht eine Fledermaus nennen. Er ist ein intelligentes Geschöpf.«
»Ein schlaues vielleicht«, widersprach Palm. »Von Intelligenz würde ich so voreilig nicht sprechen.«
Der Mucierer landete vor ihnen. Er faltete die ledernen Schwingen auf dem Rücken zusammen und machte eine tiefe Verbeugung, um seine Ehrfurcht zu zeigen.
»Was bringt dich zu uns?«, fragte Ektem, und sein Translator übersetzte in die Sprache der Mucierer.
»Ich komme als Beauftragter des tapferen Stammes der Iti-Iti«, antwortete Mitsino. »Ebenfalls im Auftrag des Stammes der Toboai. Mein Anliegen ist es, euch, Erhabene, zu bitten, dass ihr uns ins Paradies führt!«
Palm und Ektem wechselten einen bedeutungsvollen Blick.
»Woher weißt du vom Paradies?«, fragte Ektem.
»Habt ihr es uns nicht gezeigt, Erhabene?«
»Wie sollten wir das getan haben?«
Ein schlaues Grinsen erschien auf dem Gesicht des Mucierers. »Euch gehorchen alle Kräfte der Welt, ihr seid die Herren des Zaubers und die Herrscher des Traumes. Wenn ihr wollt, lasst ihr in unseren Gehirnen jeden Gedanken entstehen.«
Ektem schaltete mit einer matten Geste den Translator ab. »Mach du weiter«, bat er seinen Stellvertreter. »Mir kommt die Galle hoch, wenn ich mich als Gottheit ausgeben muss.« Er wandte sich ab und schritt davon.
Mitsino sah ihm betroffen nach. »Habe ich den Gott gekränkt, Erhabener?« Zitternd wandte er sich an Palm.
»Du hast nichts Falsches getan. Auch Götter werden müde und bedürfen der Ruhe. Aber zu deinem Anliegen. Du hast das Paradies gesehen?«
»Alle haben es gesehen!«, rief Mitsino voller Begeisterung. »Nicht nur wir vom Stamm der Iti-Iti, sondern auch die Toboai!«
»Ich weiß. Alle einhundertundzwölf Stämme der Mucierer hatten diese Träume.«
»Einhundertundzwölf, Erhabener? Ich kenne nur dreiundsiebzig.«
»Es gibt einhundertundzwölf«, antwortete Palm mit Bestimmtheit. »Manche von ihnen kennst du nicht, weil die Krieger der Iti-Iti niemals so weit vorgestoßen sind.«
»Das kann sein, Herr«, gab Mitsino kleinlaut zu.
»Wer von euch soll das Paradies sehen?«, fragte Palm unvermittelt.
Mitsino riss die Augen auf. »Wir haben es bereits gesehen, Erhabener! Wir wollen, dass ihr uns an jenen
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