Silberband 098 - Die Glaswelt
überheblich und deutete auf den Holoschirm, der den Werftbereich zeigte, in dem die startklare IRONDUKE stand.
Bull, Danton und Waringer behielten ihn im Auge, als sie sich der optischen Erfassung zuwandten. Im nächsten Moment achteten sie nicht mehr auf Athosien, denn es war unnötig geworden. Gegen die Hunderte von Menschen, die mit Hilfe der Robot-Verladeeinheiten tonnenweise wertvolles Gerät in die IRONDUKE schafften, würden sie nicht ankommen.
Endlich wandte Reginald Bull sich wieder an Athosien. »Das sind alles von ES gesandte Konzepte, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete der Mann bereitwillig. »Wir werden auch die nächsten Schiffe nach ihrer Fertigstellung für Versorgungsflüge nach Goshmos Castle einsetzen und später mit ihnen die Mucierer evakuieren – und niemand kann uns daran hindern.«
6.
» W ie geht es ihm, Miss Lydon?«, fragte ich die Chefärztin der Pa ranormstation des Bordhospitals der SOL.
Tomay Lydon gab ein paar zirpende Geräusche von sich, dann erwiderte sie mit Hilfe des akustischen Systems ihres ›Körpers‹: »Im Grunde genommen geht es ihm gut, Mister a Hainu. Dalaimoc Rorvic verspürt keine Schmerzen. Er verflüchtigt sich nur in unregelmäßigen zeitlichen Abständen in eine uns unbekannte Dimension.«
»Was geschieht während seiner Abwesenheit mit seinem Bhavacca Kr'a?«, erkundigte ich mich.
Über die Kontrolltafel Miss Lydons huschte ein positronisches Blinkfeuer. Ich hätte zu gern gewusst, wie die hochbegabte Ärztin es fertigbrachte, als Bewusstseinsinhalt in einem hyperinpotronischen Ableger SENECAs zu existieren und zu agieren, ohne dass ihre geistige Gesundheit darunter litt.
»Das Medaillon wird während der Verflüchtigungsphasen durchsichtig, bleibt aber ein materieller Bestandteil unseres Kontinuums«, antwortete sie. »Zurzeit ist Mister Rorvic anwesend. Möchten Sie mit ihm sprechen, Mister a Hainu?«
»Sehr gern, Miss Lydon«, erwiderte ich. »Aber es genügt, wenn Sie mich Tatcher nennen. Wissen Sie, als Marsianer der a-Klasse bin ich die Anrede Mister nicht gewohnt.«
»Einverstanden, Tatcher! Aber nur, wenn Sie mich Tomay nennen.«
Es war wirklich jammerschade, dass Tomay Lydon diesen entsetzlichen Unfall erlitten hatte, der sie ihres Körpers beraubte. Andererseits war es ein Glück für die Besatzung der SOL – und hoffentlich auch für sie selbst, dass sie zur Zeit des Unfalls mit einem hyperinpotronischen Ableger SENECAs experimentiert hatte und sich deshalb instinktiv in ihn retten konnte, als ihr Körper zerfiel.
Neben der Ärztin öffnete sich ein Schott. Ich ging einen hell erleuchteten kurzen Korridor entlang, bis sich vor mir ein Türschott öffnete. Ich betrat ein geräumiges Krankenzimmer.
Dalaimoc Rorvic lag in einer Art gläsernem Sarg und war an unzählige Überwachungsinstrumente angeschlossen. Natürlich war der fette Tibeter nackt – das heißt, er trug einen winzigen Slip, der aber vom herabhängenden Bauchspeck verdeckt wurde. Auf seiner behaarten Gorillabrust lag die schwarze Scheibe, die er Bhavacca Kr'a nannte. Er glotzte mich mit seinen roten Albinoaugen so unverschämt an wie immer.
»Die marsianische Flüstertüte ist wieder da«, grollte er phlegmatisch. »Na, reißen Sie schon Ihren Mund auf und erstatten Sie Meldung, Captain Hainu!«, brüllte er im nächsten Augenblick.
Seltsam, sonst hatte es mich immer wütend gemacht, wenn der Tibeter meinen Namen verschandelte, indem er das wichtige a wegließ. Diesmal war es mir peinlich. Konnte es sein, dass Tomays unsichtbare Anwesenheit daran schuld war? Peinlich war mir auch die Anrede mit meinem uralten und längst nicht mehr aktuellen militärischen Captainrang, obwohl sie mich sonst kaum gestört hatte.
Bevor ich kontern konnte, verschwammen die Umrisse des Mutanten. Rorvic verschwand – falls die Ärztin recht hatte – aus unserem Universum. Nur das zu einer gläsern wirkenden Scheibe umgewandelte Amulett und der schwarze Slip blieben zurück.
Zwar hatte ich mit dem Tibeter schon die unmöglichsten Dinge erlebt, aber so etwas noch nicht.
»Haben Sie herausgefunden, warum das geschieht, Tomay?«, fragte ich leise.
»Bis jetzt nicht, Tatcher. Die Instrumente konnten jedenfalls keine äußeren Einwirkungen feststellen. Es ist bedauerlich, dass auch Sie uns keine Angaben über das Phänomen machen können.«
Ich zuckte unbehaglich die Schultern. »Leider kann ich Ihnen nicht helfen«, gab ich zu. »Ich bemerkte dieses Phänomen zum ersten Mal rund drei
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