Silberband 099 - Treibgut der Sterne
erwiderte Boyt. »Es ist einer zu viel im Haus. Aber Ferro bleibt.«
»Wie meinst du das?«
»Wirf Vic hinaus!«
»Aber … ich liebe Vic. Und er braucht mich. Du kannst nicht verlangen, dass ich ihn wegen dieses Tramps auf die Straße setze.«
»Ich hasse Vic! – Und wenn du einen Mann brauchst, warum nimmst du dann nicht Ferro?«, bot Boyt seiner Mutter an.
»Diesen heruntergekommenen Prospektor? – Aber was reden wir darüber, du verstehst das nicht.«
»Wenn dir Ferro nicht gefällt, kann ich dir einen anderen Mann beschaffen. Lass mich nur machen, Virna. Jorge hat mir versichert, dass ich schon eine viel größere Bandbreite habe. Es wird sich was Passendes finden. Vic muss einfach weg.«
»Wenn du so redest, habe ich Angst davor, dich allein hier zurückzulassen und in den Einsatz zu gehen.«
»Ich bin nicht allein, ich habe Freunde«, versicherte Boyt. »Du kannst beruhigt fliegen. Ich habe dich dazu überredet, weil ich weiß, wie dringend du diese Arbeit brauchst. Du brauchst das Gefühl, anderen Menschen helfen zu können. Wenn du zurückkommst, wird alles anders aussehen.«
Boyt, Vic und Ferro begleiteten sie zum Raumhafen. Als sie die KORMORAN betrat, sah sie die drei einträchtig beisammenstehen und ihr winken. Trotz dieses scheinbaren Friedens trat sie den Flug mit einem unguten Gefühl an.
Während des dreiwöchigen Einsatzes in der Milchstraße ging sie förmlich in ihrer Arbeit auf. Das Bewusstsein, noch unglücklicheren Menschen helfen zu können, wirkte wie eine Regenerationskur auf sie. Sie kam wie neugeboren nach Gäa zurück.
Doch das Hochgefühl hielt nicht lange an. Kaum hatte sie die KORMORAN verlassen, traten zwei Regierungsbeamte an sie heran. »Sie leben mit Vic Lombard zusammen, Frau Marloy? Würden Sie uns bitte begleiten? Sie müssen jemanden identifizieren.«
»Ist Vic etwas zugestoßen?«, fragte sie furchtsam. »Warum wurde ich nicht früher verständigt?«
»Wir warteten bis zur Landung der KORMORAN, um für Sie nicht noch alles schlimmer zu machen.«
Die Beamten brachten sie ins Leichenschauhaus und zeigten ihr den Toten. Sie erkannte Vic an dem Armersatz. Bei dem Anblick wurde ihr schlecht. Der Körper wirkte ausgelaugt, vertrocknet, die Haut war wie Pergament, beinahe mumifiziert. Man sagte ihr, dass der Tod durch einen Schrumpfungsprozess des gesamten Zellkernhaushalts eingetreten sei, und äußerte die Vermutung einer unbekannten Seuche.
Virna beantwortete die an sie gerichteten Fragen, aber sie war nicht bei der Sache. Sie musste immer wieder an Cloens Mungokätzchen denken, das dieselben Symptome wie Vic gezeigt hatte. Doch darüber schwieg sie.
Nachdem die Formalitäten erledigt waren, wurde sie in einem Regierungsschweber nach Hause gebracht. Boyt war nicht allein. Außer Ferro befand sich ein zweiter Fremder im Haus. Er war groß und schlank, hatte blondes Haar und ein schmales, scharf geschnittenes Gesicht.
»Das ist Hamon«, sagte Boyt. »Er ist bereit, dich über Vics Verlust hinwegzutrösten.«
Das war zu viel für Virna. Sie flüchtete auf ihr Zimmer.
Wenig später kam Boyt zu ihr. »Wenn du willst, Virna, schicke ich meine Freunde fort«, sagte er sanft. »Es ist ohnehin besser, wenn ich nicht mit ihnen gesehen werde. Willst du mit mir allein sein?«
Virnas Verfall kam nicht von einem Tag zum anderen, sondern war ein Prozess über Jahre. Bald konnte sie ihren Dienst in der Rettungsflotte nicht länger versehen, weil sie den Strapazen nicht mehr gewachsen war. Sie arbeitete überhaupt nicht mehr. Boyt sorgte für sie, und Virna fragte ihn nicht, woher er das Geld hatte, sie stellte überhaupt keine Fragen, machte ihm keine Vorschriften und überließ ihn sich selbst.
Er brachte keine Fremden mehr ins Haus. Seit dem Tag, da er Ferro und den anderen Raumfahrer fortgeschickt hatte, kam außer Jorge Bellon niemand mehr zu Besuch. Dennoch war Virna sicher, dass sich Boyt mit seinen Freunden, die er seit Neuestem Paratender nannte, insgeheim traf. Sie war ihm einmal nachgeschlichen und hatte beobachtet, wie er in ein fremdes Haus gegangen war. Sie war ihm auch dorthinein gefolgt und hatte sich inmitten einer Runde von sieben ihr unbekannten Personen wiedergefunden. Boyt war damals sehr wütend geworden und hätte beinahe die Hand gegen sie erhoben. Tage darauf hatte er sich bei ihr für sein Verhalten entschuldigt und ihr zum Zeichen der Versöhnung sein Amulett in die Hände gedrückt. Sie hatte in dem unbehauenen Anhänger eine seltsame Kraft
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