Silberband 100 - BARDIOC
herbeiführen musste. Ariolc, daran bestand kein Zweifel, würde so entscheiden wie Kemoauc und Lorvorc.
»Bruder«, sagte Kemoauc zu Bardioc. »Du hast das Recht, zu sprechen und alles zu sagen, was deine Strafe mildern könnte.«
Wer würde ihm überhaupt zuhören?, fragte sich Bardioc. Lorvorc, für den es bereits beschlossene Sache war, dass Bardioc die härteste denkbare Strafe erhalten würde? Murcon, der seiner entscheidenden Niederlage in der eigenen Burg förmlich entgegenfieberte? Partoc, der schon so gut wie tot war und dessen Herz ausgefüllt wurde von der Liebe zu einer Sterblichen? Ariolc, der nur daran dachte, sich selbst um jeden Preis in Szene zu setzen?
Nur Kemoauc würde ihn anhören!, wusste Bardioc. Und Kemoauc kannte die Beweggründe der anderen genauso gut wie seine eigenen. Man brauchte Kemoauc nichts zu erklären.
»Ich will nicht sprechen«, sagte Bardioc.
Kemoauc sah sich um. »Ist da einer, der für ihn sprechen will?«
Niemand regte sich.
»Dann werde ich für ihn reden«, verkündete Kemoauc zu Bardiocs Überraschung. »Ich werde von seiner Blindheit sprechen und von seiner Ahnungslosigkeit. Davon, dass es versäumt wurde, ihn in die Verantwortung zu nehmen. Er, ein Unsterblicher, wurde zu einer Art Maschine herabgewürdigt, die immer ein und dieselbe Bewegung ausführen muss.«
Bardioc hörte kaum zu.
Kemoauc berichtete in allen Einzelheiten, wie es zu dem Verrat hatte kommen können. Aus jedem seiner Worte sprachen Verständnis und – das war die eigentliche Überraschung für Bardioc – unversöhnlicher Hass auf jene, in deren Auftrag die sieben Mächtigen gehandelt hatten.
Ausgerechnet Kemoauc!, dachte Bardioc verblüfft. Der Traditionalist und Treueste der Getreuen!
»Es geht hier nicht um die Bedeutung der Materiequellen oder um die Berechtigung des Rufs«, sagte Kemoauc. »Das alles ist unumstritten. Es geht darum, dass wir erbarmungslos verschlissen wurden. Von dem Augenblick an, da wir in unseren Burgen das Bewusstsein erlangten und zu leben anfingen, wurden wir ausgenutzt. Wir hatten überhaupt keine Chance – Bardioc hatte keine Chance.«
»Bruder, ich danke dir«, sagte Bardioc ergriffen.
»Trotzdem war Bardioc Herr seines eigenen Willens«, fuhr Kemoauc unbeirrbar fort. »Er wusste, was er tat, er ist dafür verantwortlich, dass einer unserer Brüder, Ganerc, als Wächter Callibso in der Verbannung leben muss. Wenn der Bund der Zeitlosen sich nun auflöst, ist das ebenfalls Bardiocs Schuld. Dafür und nur dafür muss er bestraft werden.«
Der Missbrauch des Sporenschiffs und die Manipulation des Schwarms waren ihm verziehen worden, begriff Bardioc. Nicht aber der Verrat an seinen Brüdern.
»Wir müssen uns entscheiden«, sagte Kemoauc müde. »Jeder soll überlegen, was er sagt: Ich stimme für schuldig.«
Lorvorc trat mit geballten Händen vor. »Schuldig!«, rief er.
»Nicht schuldig!«, sagte Murcon leise.
»Nicht schuldig!«, plädierte auch Partoc.
Ariolc genoss es, die Entscheidung herbeiführen zu müssen. Er stand da und zupfte an seiner Fantasieuniform. Bardioc schaute angeekelt weg.
»Schuldig!«, sagte Ariolc schließlich.
»Du hast den Verband der Zeitlosen verraten«, erklärte Kemoauc, an Bardioc gewendet. »Du wurdest schuldig befunden des Verrats an deinen Brüdern. Wir können dich nicht töten, das weißt du. Aber du hast die härteste Strafe verdient, die einen von uns treffen kann.«
Bardioc war, als hätte er einen Schlag ins Gesicht erhalten. Er taumelte zurück, das Blut schoss ihm in den Kopf. »Nein!«, kreischte er in höchster Not. »Das könnt ihr mir nicht antun!«
Kemoaucs Gesicht war ohne Leben. Im Licht der wirbelnden Sonnenmassen über dem Bruchstück wirkte es wie ein Stein.
»Das Urteil lautet auf Entkörperung!«, sagte Kemoauc.
Sie gingen auseinander wie Fremde, jeder schon wieder mit seinen eigenen Problemen befasst. Schließlich standen nur noch Kemoauc und Bardioc auf den Überresten der Ebene. Bardioc wimmerte leise.
»Sie überlassen es mir, aber das hätte ich wissen sollen«, klagte Kemoauc.
Er nahm Bardioc mit auf seine Burg, wo er ihn paralysierte und die Entkörperung vorbereitete.
Es kam darauf an, Bardiocs Gehirn vom Körper zu isolieren, ohne dass es dabei Schaden erlitt oder gar starb. In den riesigen Labors seiner Burg standen Kemoauc alle Geräte zur Verfügung, die er brauchte, um die Trennung durchzuführen. Er hatte nicht mehr mit Bardioc gesprochen. Das wäre ohnehin sinnlos gewesen,
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