Silberband 101 - Eiswind der Zeit
Teetopf nahm, saß neben seinem Teller der unterarmlange feuerrote Salamander und starrte ihn mit seinen milchfarbenen großen Augen an. »Endlich bist du wach!«, heuchelte Pyon.
Der ›Salamander‹ blies seinen Kehlsack auf. »Lügner!«, sagte er quarrend. »Du wolltest das Manna allein essen, Pyon Kaktus!«
Pyon Arzachena verstand das Wesen nur, weil er hinter dem linken Ohr den Mikro-Umsetzer trug, der die Laute des Urmarsianischen für ihn hörbar machte. Zwar lebten die Urmarsianer längst nicht mehr, kein Mensch hatte je einen von ihnen gesehen, aber dank der Arbeit einer Stiftung, die nach ihrem Gründer ›a-Hainu-Stiftung‹ hieß, waren vor allem im Gebiet des Coprates Rift Valley, einer fünftausend Kilometer langen Talrinne, aufsehenerregende Funde gemacht worden: submarsianische Bauwerke, Maschinen, Gräber – und Aufzeichnungen der Urmarsianer.
Zu jener Zeit kannten die Menschen die feuerroten ›Salamander‹ schon, die an einem Hang der Talrinne zu Tausenden lebten. Doch bis dahin hatte niemand auch nur geahnt, dass deren unter der sogenannten Tonfrequenz liegenden Lautäußerungen Sprache waren. Ein Wissenschaftler hatte zufällig festgestellt, dass die vermeintlichen Tiere urmarsianisch redeten. Auf keinen Fall waren sie aber Nachkommen der ausgestorbenen Marsbewohner, denn aus Grabfunden kannte man deren Aussehen.
Pyon hatte Childa vor knapp einem Jahr von einem im Sterben liegenden Freifahrer geschenkt bekommen. Der Freifahrer hatte Childa in den Ruinen der ehemaligen Hauptstadt des Kolonialplaneten Wassenar gefunden, wo das Wesen auf der Flucht vor seinem Herrn, einem Überschweren, gewesen war. Offenbar waren die Valley-Salamander von den auf dem Mars lebenden Überschweren eingefangen und zu Haustieren gemacht worden.
Pyon fuhr sich mit der rechten Hand über das kurze stachelige Haar, das Anlass für den Spitznamen ›Kaktus‹ gewesen war. »Du sollst mich nicht immer verspotten, Childa!«, fuhr er seine Begleiterin an. »Ich wollte dich nur nicht aus deinem Schlaf reißen.«
»Um Ausreden warst du nie verlegen. Aber pass auf, dass das Manna nicht anbrennt!«
Mit einem Fluch riss Pyon die Pfanne vom Gasbrenner. Er nahm sein Messer und teilte die Brotscheibe: ein Drittel für Childa, zwei Drittel für sich, nachdem er den Becher mit dampfendem Tee gefüllt hatte.
Während die beiden unterschiedlichen Wesen ihre Mahlzeit einnahmen, musste Pyon Arzachena daran denken, dass ihre Lage alles andere als rosig war. Vor drei Wochen hätte der Händler, der ihn vertragsgemäß auf dem Eisplaneten Hertschos abgesetzt hatte, ihn wieder abholen sollen. Der Mann war nicht gekommen.
Nach der Mahlzeit stieg Pyon in seinen Schutzanzug, bepackte den kleinen Schlitten mit Werkzeug und leeren Kunststoffbeuteln und verließ die Eishöhle, die er zu seinem Quartier erwählt hatte.
Der Prospektor stapfte eine halbe Stunde lang schweigend durch das blassgelbe Licht der Sonne Faynroith, die noch dicht über dem östlichen Horizont hing. Die Ventile des Atemgeräts flatterten und pfiffen bedrohlich.
Endlich gaben die Eisbuckel ringsum den Blick frei auf eine weiße Ebene. Links von Pyon gab es einen zirka dreihundert Meter durchmessenden Fleck, der nicht vom Weiß der gefrorenen Atmosphäre bedeckt war, auch nicht von dem hellen Bernsteingelb des uralten Wassereises.
Über dem vom Eis befreiten Schotterboden kauerte besitzergreifend das Metallplastikgerüst eines Schachtturms, und zwischen den gespreizten Stützbeinen duckte sich die Druckkuppel der Schachthalle mit dem klobigen Aggregatebunker.
Pyon steuerte zielstrebig auf die Halle zu und schlurfte durch die offene Schleuse. Es gab keine Maschinen mehr im Bunker. Die Minengesellschaft hatte nach dem Howalgoniumabbau alle Geräte mitgenommen.
Nicht, dass sich die Schürfarbeit nicht gelohnt hätte. Die Schwierigkeiten kamen von der hyperenergetischen Turbulenzzone, in der das Faynroith-System lag. Von hundert Raumschiffen, die in diese Zone einflogen, blieben durchschnittlich sieben verschollen – eine für jedes Transportunternehmen unrentable Verlustquote.
Während der Herrschaft des Konzils hatte sich niemand um die Mine gekümmert – bis auf den alten Freifahrer, von dem Pyon den Valley-Salamander bekommen hatte. Fyrfar, wie er sich nannte, war vor einigen Jahren mit Freunden auf Hertschos gewesen. Sie hatten einen neuen Stollen vorgetrieben und den Erzgang einer hydrothermalen Lagerstätte gefunden, in der auf Uran, Blei und Wismut wahre
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