Silberband 101 - Eiswind der Zeit
etwas vor?«
Meralda warf ihm einen schwer zu deutenden Blick zu. »Wir haben wieder Funksprüche aufgefangen. Wir sehen uns – übrigens haben die Biologen einiges mit dir vor, Hy !«
»Ich habe zuerst mit mir selbst etwas vor«, erwiderte er und spürte plötzlich seine Erschöpfung. »Bis bald.«
Meralda hob kurz die Hand, der Schlepper röhrte weiter und packte mit der halb automatischen Kupplung den zweiten Wagen, auf dem sich schon die Fleischteile türmten.
Das waren Vorgänge, um die sich Borl nicht zu kümmern brauchte. Er ging schweigend durch die Siedlung, die sich kreisförmig im Schatten des Schiffes ausbreitete, auf die Rampe zu, die fast seit hundert Jahren hier lag und tief eingesunken war. In dem Antigravlift schwebte er hinauf zu dem Deck, auf dem seine Kabine lag. Ruhe und Stille umfingen ihn. Er stieß das Schott des ehemaligen Magazinraums auf und wusste, dass er es wieder einmal geschafft hatte. Er war zu Hause.
12.
Sein Vater war unbekannt. Vielleicht war es jemand, der heute noch lebte. Borl wusste das nicht und eigentlich interessierte es ihn auch nicht. Sein Leben war jedenfalls eine Kette von erstaunlichen und unwahrscheinlichen Vorgängen und er war sicher, dass es so oder ähnlich weitergehen würde.
Er kannte die Geschichte von dem Angriff der Springschlange auf seine Mutter. Dies mochte der erste Grund seiner Immunität im Verhältnis zu Vorcher Pool sein. Er kannte, ebenfalls aus Erzählungen, auch die Wahrheit über den Tod seiner Mutter.
Wenige Stunden vor seiner Geburt wurde sie von einer Giftdorn-Pflanze verletzt. Tassa Borl lebte noch elf Minuten und schleppte sich ins Schiff zu den Ärzten. Die Geburt verlief normal, aber seine Mutter starb dabei. Das Neugeborene war geradezu verblüffend gesund.
Sobald es möglich war, wurde Hytawath Borl in das Training der Siedler mit einbezogen. Es war schon vor sechsundzwanzig Jahren Pflicht gewesen, sich in den Simulatoren ausbilden zu lassen. Dort wirkten Darstellungen und Projektionen aller Pflanzen und Tiere zusammen mit eineinhalbfacher Schwerkraft als Trainingselemente, die keinen anderen Zweck hatten, als die Siedler mit allen Überlebenstechniken vertraut zu machen.
Eines Tages, als sich ein kleiner Trupp von Siedlern aus dem Kreis hinauswagte, erfuhr Borl, dass er immun war.
Sie wurden angegriffen, wild und übergangslos. Aber während sich die Angriffe des Ringes der Gewalt auf die anderen seiner Gruppe konzentrierten und zwei Opfer forderten, wichen Pflanzen und Tiere vor ihm zurück. Seine Immunität wurde bekannt und einige Male getestet, aber nichts änderte sich. Damals war er elf Jahre.
Natürlich untersuchte man ihn immer wieder. Er trug das Geheimnis in sich, das den rund dreitausend Flüchtlingen den freien Aufenthalt in der schwierigen Natur des Planeten ermöglicht hätte.
Man fand – nichts.
Die Antikörper, oder was immer es war, blieben sein alleiniger Besitz. Er wurde zu einer Art Übermensch, einem biologischen Wunder. Hytawath Borl war fremd, anders, rätselhaft und gefährlich.
Natürlich war er keineswegs ein Ausgestoßener. Doch immer irgendwie der Mittelpunkt zu sein, veränderte ihn. Er zog sich in sich selbst zurück, ohne jedoch seine Ausbildung zu vernachlässigen. Er war, auf seine Art, einer der klügsten Männer seiner Altersgruppe. Da er im Gegensatz zu seinen Freunden in einer Zweig-Simultanwelt trainierte, war er überdies entschieden schneller und geschickter, kräftiger und leistungsfähiger. Die vielen Aufenthalte in der Natur außerhalb der Schutzkreise schärften seine Auffassungs- und Beobachtungsgabe. Er gewöhnte sich Gelassenheit und Ruhe an. Auch in überaus kritischen Situationen half ihm diese anerzogene Beherrschung. Nur in außergewöhnlichen Situationen war er hart und kalt, unbarmherzig und selbst seinen besten Freunden unverständlich. Dann fürchtete ihn jeder, ausgenommen vielleicht Meralda und Cherkel, eines seiner männlichen Vorbilder.
So wuchs Hytawath Borl heran.
Er hoffte, dass sein Leben mit sechsundzwanzig Jahren keineswegs in einer Sackgasse gelandet war. Er wollte etwas anderes. Er wollte mehr. Vor allem wollte er von diesem Planeten weg.
Er hasste Vorcher Pool und alle Umstände, die ihn zwangen, hierzubleiben.
Der Magazinraum war dreißig Quadratmeter groß. Eine Platte, die Borl entfernt hatte, gab den Eingang zu Bad und Toilette eines benachbarten Apartments frei und in eine winzige Küche. Die Akustikverkleidung einer Messe war als Bodenbelag
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