Silberband 101 - Eiswind der Zeit
es nur Trubohn Cherkel mit seiner Vorwärtsstrategie sein«, argwöhnte Borl.
Meralda schüttelte unwillig den Kopf. Eine Haarsträhne löste sich und fiel ihr in die Stirn. Auf einmal sah sie jung und verletzlich aus. Alle Härte und Unnachgiebigkeit war aus ihrem Gesicht gewichen.
»Wir sind kein Herrscherpaar, Voin und ich«, stieß sie flüsternd hervor.
»Ihr würdet das Schiff einschmelzen, um an der Spitze der Siedlung zu bleiben.« Hytawath zog sie leicht an sich.
»Wahrscheinlich hast du recht. Ja, ich denke, Cherkel wird Schwierigkeiten machen.«
»Ich muss ohnehin hinunter ins Labor; ich werde mit ihm reden«, versprach der Jäger. »Und wie sind unsere Probleme zu lösen? Ich meine das Verhältnis zwischen uns?«
»Haben wir Probleme?«
Von draußen erklang ein lauter werdendes Murmeln, Knacken und Prasseln. Noch konnte der Jäger die Geräusche ignorieren. Aber neue Gefahren schienen sich aufzubauen.
»Du bist anders geworden und ich wohl auch. Sind wir immer noch die Kinder des Krieges, die zwischen den Landestützen und in allen dunklen Winkeln der KARMA gespielt haben?«
Eine lange Pause entstand, in der sich die Frau aus Hytawaths Arm wand, die Flasche nahm und zwei Gläser füllte. Der Alkohol war eine Destillation des makrobiologischen Labors, die Gläser gehörten zum letzten noch vorhandenen Dutzend. Aber es gab einige zehntausend Kunststoffbecher mit eingeprägtem Schiffsnamen KARMA in den muffigen Magazinen.
»Wir waren niemals Kinder. Wir waren schon erwachsen, als man uns in die Gravitationssimulatoren brachte.«
»Wir haben von unserer Unbefangenheit nicht viel retten können«, musste Borl ihr beipflichten.
Meralda setzte sich in Hys abgewetzten Sessel. Die Säume ihres hellen Schiffsanzugs waren ausgefranst, einige Nähte klafften auseinander. »Inzwischen betrachten dich sehr viele Überlebende der KARMA mit Misstrauen«, stellte sie fest. »Die Leute sehen, obwohl du sie ernährst, in dir nur den Außenseiter, den wirklich Fremden, den einzigen Freund des Planeten.«
»Das weiß ich und ich warte eigentlich nur noch auf den Zeitpunkt, an dem diese Ablehnung offen ausgesprochen wird. Es wird wohl noch eine Zeit lang dauern, denn vorläufig sind sie auf mich angewiesen.«
»Was sie nicht zu deinen Freunden macht. Erweise jemandem einen lebenswichtigen Dienst, und er wird dich irgendwann hassen. Das ist die bittere Wahrheit.«
Hytawath lachte hart und humorlos. »Ich weiß, dass du recht hast. Aber wenigstens empfindest du noch keinen Hass auf mich. Oder irre ich da?«
»Ich hasse dich nicht. Aber ich bin mir nicht sicher, ob wir uns noch lieben.«
»Der Abend der Wahrheit«, knurrte Hytawath und blieb vor dem Sessel stehen. Ihre Knie berührten sich. »Es gibt nicht allzu viele Möglichkeiten, das herauszufinden. Meine Gefühle sind sicher ein wenig älter geworden, schärfer und genauer, auch leichter auszusprechen, aber grundsätzlich haben sie sich nicht verändert.«
»Ehrlich?«
Er hob die Schultern und trank das Glas leer. »Welchen Vorteil hätte ich, wenn ich lügen würde?«
Meralda streckte die Hand aus. »Komm! Halte mich fest. Ich weiß selbst nicht, wie alles enden soll.«
Mitten in der Nacht hörte Borl wieder die Geräusche. Meralda lag zusammengekrümmt neben ihm, ihr Haar breitete sich wie ein Strahlenkranz auf dem dunklen Kissen aus. Hytawath stand auf und blickte aus der Luke. Aus etwa vierhundert Metern Höhe sah er im grellen Licht der Scheinwerfer, dass die Natur des Planeten im Begriff war, die Hinterlassenschaften ihrer Angriffe zu beseitigen. Eine Myriade von kleinen und großen Aasfressern riss, kaute und nagte an den zahllosen Kadavern.
Hytawath ging zurück in den Schutz der Dunkelheit, setzte sich auf den Rand der Liege und betrachtete die Frau. Jetzt konnte er sicher sein, dass von den großen Gefühlen nur wenig übriggeblieben war. Vorcher Pool zerstörte alles.
Das Raumschiff KARMA spiegelte den Niedergang. Die Energieerzeuger liefen. Niemand konnte sagen, ob sie morgen, in einem Monat oder erst in zehn Jahren aussetzen würden. Buchstäblich alles, was nicht zu den technischen Systemen gehörte, war demontiert und zu anderen Zwecken gebraucht und missbraucht worden.
Noch gab es Vorräte und teilweise gefüllte Magazine: Kunststoffbecher, Energiemagazine, Waffen, Kabel und Leitungen, alle möglichen Ausrüstungsgegenstände.
Es gab jedoch keinen Gleiter, kein Beiboot und keinen Shift. Die meisten Räume waren leer. Demontierte
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