Silberband 106 - Laire
eigene Persönlichkeit auf das Kind auszudehnen … Es ist die Idee, sozusagen Menschen nach dem eigenen Bilde zu formen.«
A. S. Neill
21.
Boyt Margor
Nach der Rückkehr zur Erde hatte die ›Gesellschaft zur Erforschung paranormaler Phänomene‹ auf der Halbinsel Athos eine Heilstätte für geistig Instabile und Abnorme eingerichtet. Hinter dieser Institution, kurz GEPAPH genannt, steckte kein anderer als Boyt Margor.
Homer G. Adams und seine Organisation hatten sich bislang damit begnügt, die ehemalige Mönchsrepublik zu beobachten und Margors Warneinrichtungen zu lokalisieren. Spezialisten waren als Patienten oder Hilfskräfte eingeschleust worden und warteten auf den Einsatzbefehl.
Am 17. November 3586 um neun Minuten vor Mitternacht war es endlich so weit. Während die auf der Halbinsel stationierten Spezialeinheiten sofort alle wichtigen Anlagen und das Hauptquartier in Ouranopolis besetzten, landeten Schwebertrupps bei den als Kliniken eingerichteten Klöstern und nahmen die Paratender fest. Die wenigsten Patienten bemerkten überhaupt etwas davon.
Da das Sicherheitssystem ausgeschaltet wurde, kam es so gut wie gar nicht zu Kampfhandlungen. Weil zugleich das Funknetz lahmgelegt worden war, konnten Margors Paratender nicht einmal die anderen über die gesamte Erde verteilten Stützpunkte warnen.
Wenige Minuten nach der Besetzung der Funkanlagen war Athos wieder in das Nachrichtennetz des Gäa-Mutanten integriert. Aber nun saßen Spezialisten der Liga Freier Terraner an den Kontrollen.
Um null Uhr fünf war die Aktion abgeschlossen, Athos befand sich in der Hand der LFT. Angesichts der Aussichtslosigkeit ihrer Situation hatten zwei Paratender Selbstmord begangen. Drei weitere Paratender schwebten nach der Einnahme von Gift in Lebensgefahr.
Den Cheftender von Athos, Alexis Therakides, hatte Bran Howatzer gerade noch rechtzeitig paralysiert. Inzwischen warteten die Psychologen und Ärzte darauf, dass Therakides' Lähmung nachließ und sie mit seiner Rekonditionierung beginnen konnten. Seit Adams' Truppe gezielt gegen Margors Paratender vorging, waren schnell bessere Methoden entwickelt worden, diese bedauernswerten Menschen aus der Abhängigkeit des Mutanten zu befreien.
Nach wie vor fanden sich keine Hinweise auf Margors Aufenthalt. Allerdings gab es eine schwache Hoffnung, dass Boyt Margor vielleicht bald erscheinen würde. An verschiedenen Orten der Halbinsel waren Container mit technischen Gerätschaften, Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen von den Paratendern verborgen worden. Zweifellos waren sie bereitgestellt worden, damit Margor sie abholen und in sein Versteck bringen konnte, wo immer sich dieses befand.
Stefen Commer war ein Psychologe aus dem Kreis um Ferengor Thaty, ein Spezialist für die Heilung der von Margor Beeinflussten.
»Paratender sind nicht bloß Sklaven Margors«, erklärte er, während er den wiedererwachten Therakides behandelte. »Sie haben nicht das Gefühl, von ihm unterdrückt oder ausgenützt zu werden. Obwohl sie sich ihrer Hörigkeit bewusst sind, empfinden sie diese nicht als negativ. Sie sehen sich als gleichwertige Symbionten, und das ist unser Problem.«
Er gab dem Cheftender eine beruhigende Injektion.
»Zuerst muss jeder Paratender eine Schockbehandlung durchlaufen. Die Erkenntnis, dass er versagt hat und dem von ihm abgöttisch geliebten Margor vielleicht schaden könnte, löst den Schock aus. Erst nach dessen Abklingen kann die eigentliche Behandlung beginnen. Dabei müssen wir davon ausgehen, dass Margor jeden Paratender konditioniert hat.«
Während Commer redete, prüfte er die Reflexe des Patienten. Er schien mit dessen Reaktionen aber nicht zufrieden zu sein, denn er gab einem Assistenten das Zeichen, eine zweite Injektion vorzubereiten.
»Frühere Methoden zielten darauf ab, den Menschen ihre Neurosen durch Schockbehandlung auszutreiben«, führte der Psychologe weiter aus. »Unglückliche wurden darauf gedrillt, glücklich zu sein. Im Wesentlichen ging man davon aus, dass emotionale Gewohnheiten erlernbar waren. So behandelte man zum Beispiel einen Alkoholiker nicht durch Entzug und Enthaltsamkeit, sondern stellte ihm Alkoholika im Überfluss zur Verfügung. Aber sobald der Patient auch nur daran nippte, erhielt er einen Elektroschock – so lange, bis er sich vor Alkohol ekelte. Die Absicht dabei war, jedes negative Verhalten mit unangenehmen Reizen zu verbinden und unerwünschte Gewohnheiten so zu eliminieren. Diese Drillmethoden
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