Silberband 111 - Geburt einer Dunkelwolke
Tekener misstrauisch. »Was hast du mit ihnen gemacht? Sie hypnotisiert? Warum verstehen sie dich?«
»Weil ich Arkonidisch gesprochen habe, dieselbe Sprache, die sie bei Kihnmynden verstehen gelernt haben.«
»Na gut«, murmelte er. »Folgen wir ihnen. Ich bin gespannt, wohin sie uns führen werden.«
Schon nach kurzer Zeit wurde klar, dass etwas nicht stimmte. Die Tiere führten sie in die Richtung zurück, in der ihr Gleiter stand.
»Sie wollen uns loswerden«, vermutete Tekener enttäuscht.
»Das glaube ich nicht«, widersprach Jennifer ihm. »Warte doch erst einmal ab.«
Sie stolperten dahin, und die viel schneller vorankommenden Kraken mussten sich zu einem niedrigeren Tempo zwingen. Unerwartet kamen einige von ihnen herab. Sie griffen mit mehreren Armen zugleich nach den beiden Terranern.
»Sie wollen uns helfen!«, rief Jennifer. »Leiste um Himmels willen keinen Widerstand!«
»Ich denke gar nicht daran«, versicherte Tekener.
Die Kraken waren sehr vorsichtig. Sie hielten beide leicht und sicher mit ihren langen Beinen umschlungen.
In einem Bruchteil der Zeit, die sie vorher für den Weg gebraucht hatten, gelangten sie zum Gleiter zurück. Auf der Kanzel saßen drei Vögel wie jene, mit denen sie schon zu tun gehabt hatten.
»Es ist so, wie ich mir das gedacht habe«, sagte Jennifer überzeugt. »Kihnmynden lebt zu weit entfernt. Wir würden es zu Fuß nicht schaffen.«
Die Kraken setzten ihr Schützlinge sanft ab, die Vögel reckten die Flügel. Als Jennifer Thyron ihnen zurief: »Zeigt uns den Weg!«, erhoben sie sich in die Luft und schwebten zwischen den Ästen, bis der Gleiter ihnen folgte.
28.
Die Vögel zogen nach Westen davon, den Bergen entgegen. Durch eine Passenge gelangten sie auf die Rückseite des Gebirgszugs. Die Felsen wurden schroffer, die Schluchten tiefer und die Bäume kümmerlicher.
Nach einer Weile ließen sich die Tiere absinken. Fassungslos blickten die beiden Terraner auf das Gebilde, das in einer Mulde zwischen kahlen Felsen lag.
»Ich kann es nicht glauben«, sagte Jennifer leise. »Wir haben es tatsächlich geschafft.«
Tekener setzte den Gleiter zwischen den Felsen auf.
Kihnmyndens Heim ähnelte dem Horst eines Raubvogels. Die gewölbten Wände waren aus Ästen und Zweigen zusammengefügt, die Ritzen mit Lehm verschmiert und mit Moos zugestopft. Kleine Fenster waren offenbar mit dünnen Tierhäuten bespannt. Die Mulde oben war mit riesigen Blättern ausgelegt, die wohl Regenwasser vom Innern des Hauses fernhalten sollten. Ein verzwicktes System aus bambusähnlichen Röhren, die überall aus den seitlichen Wänden hervorstachen, sorgte dafür, dass das aufgefangene Wasser abfließen konnte. Ein Teil davon diente aber zweifellos als Trink- und Brauchwasser.
»Kein Wunder, dass ihn niemand gefunden hat«, sagte Tekener. »Dieses Haus passt sich der Umgebung so perfekt an, dass es praktisch unsichtbar wird, solange man es nur von oben sehen kann. Bestimmt gibt es da drin auch kein Stückchen Metall.«
Eine mit Rindenstücken verkleidete Tür öffnete sich. Ein Arkonide trat heraus.
»Mein Gott«, flüsterte Jennifer erschrocken. »Ist das Kihnmynden?«
Sie hatten gewusst, dass der Forscher alt war, aber so alt hatten sie ihn nicht eingeschätzt. Kihnmynden war derart abgemagert, dass ihm die zerfetzte und immer wieder ausgebesserte Kleidung um den Körper schlotterte. Sein Haar war schmutzig und lang, ein schütterer Bart hing ihm auf die Brust.
»Willkommen!«, krächzte Kihnmynden. »Ich habe euch holen lassen, weil meine Freunde mir von euch berichteten.« Er kicherte und machte eine weit ausholende Handbewegung.
Kihnmyndens Freunde saßen auf den zahllosen Simsen und Unebenheiten des erstaunlichen Hauses, und was dort keinen Platz mehr fand, drängte sich zwischen den Felsen. Es waren Tausende der unterschiedlichsten Kreaturen.
»Dürfen wir näher treten?«, fragte Tekener.
»Kommt, kommt!«, rief Kihnmynden eifrig. »Seht euch mein Haus an!«
Sie warfen einander einen vielsagenden Blick zu. Offensichtlich war Kihnmynden nicht mehr als normal zu bezeichnen.
Sie traten durch die Tür und musterten erschüttert den engen, düsteren, schmutzigen Raum, in dem der Arkonide zu hausen schien. Es gab nichts von dem, was Menschen gemeinhin zum Leben brauchten. Ein unordentliches Lager an der Wand, ein wackliger, offenbar selbst gezimmerter Tisch und eine noch wackligere Wand, ein schiefes Regal sowie ein hölzerner Trog voll Wasser – das war
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