Silberband 113 - Der Loower und das Auge
längst nicht mehr bei jedem Geräusch nach seiner Waffe, und Leevina vergaß, ihren Begleiter ständig auf die Lügen der Androiden hinzuweisen. Der Wald war harmlos, der Planet eine wildromantische, aber freundliche Dschungelwelt.
Als der Boden merklich anstieg, legten sie eine kurze Rast ein. Sie hatten sich in der Station reichlich mit Konzentratnahrung versorgt, und nun aßen sie. Es war still um sie herum.
»Die Siedler werden Augen machen«, sagte Leevina plötzlich.
Kert zuckte leicht zusammen, wie immer, wenn das Mädchen so redete, als wüsste es tatsächlich, dass hier eine Kolonie existierte. Die Wahrheit war, dass sie noch auf keine Spur von Menschen gestoßen waren. Das Land war völlig unberührt.
»Warum sagst du nichts?«, beschwerte sich Leevina. »Hier ist es viel schöner als in der Station, das musst du zugeben.«
»Ja«, antwortete Kert lakonisch.
»Komm weiter!«, forderte das Mädchen ärgerlich.
Der Boden wurde trockener und stieg weiter an. Als sie eine Lichtung erreichten, sahen sie graue Felswände aufragen. Hoch oben, in der Nähe eines aus den Felsen hervorbrechenden Wasserfalls, kreiste ein riesiges Flugwesen.
»Da ist ein Weg!« Kert zeigte auf eine breite Schneise, die bis an die Felsen heranzuführen schien. Ein schwerer Felsbrocken war dort zu Tal gerollt und hatte alles ihm im Weg Stehende niedergewalzt. Das musste erst vor Kurzem geschehen sein, denn die Flora hatte sich noch nicht wieder erholt.
Leevina rührte sich nicht vom Fleck. Ihre Nasenflügel zitterten regelrecht. Sie tastete nach Kerts Hand und zog ihn langsam mit sich, bis sie ein dichtes Büschel trichterförmig beieinanderstehender Farnblätter erreichten.
»Duck dich!«, befahl sie flüsternd. »Schnell!«
Kert gehorchte, weil er es nicht anders gewohnt war. Erst als er sich unter den glänzenden Blättern zusammenkauerte, machte er sich Gedanken über den Sinn des Versteckspiels. Er fragte Leevina danach.
»Wenn du nur nicht so naiv wärst.« Sie seufzte. »Glaubst du, dass Alurus uns einfach laufen lässt? Ich möchte wetten, dass längst seine Androiden hinter uns her sind. Diese Lichtung sieht so richtig nach einer Falle aus, sie führt bis fast an die Felsen heran, und sehr breit ist sie auch. Alurus kann sich bestimmt denken, wohin wir gehen werden. Er muss seine Androiden nur dort in den Felsen postieren, wo wir sie nicht sehen können.«
Kert fand diese Überlegungen so klug, dass er sich kaum noch zu rühren wagte.
Die sinkende Sonne ließ die Felsen in finsterem Rot erglühen. Kein Windhauch regte sich, das Land schien den Atem anzuhalten. Selbst das Summen der Insekten verstummte. Die beiden Kinder warteten regungslos unter den breiten Blättern, ihre Furcht vor den Androiden war stärker als der Drang nach Bewegung.
Endlich erlosch das letzte rote Glühen hoch oben an den Zinnen. Es wurde stockfinster. Als Kert und Leevina zwischen den Farnwedeln hindurch zum Himmel aufsahen, entdeckten sie ein paar armselige Lichtpunkte – das war der wenig beeindruckende Nachthimmel von Statischon. Es gab keinen Mond, der ihnen den Weg hätte beleuchten können. Eine Lampe mitzunehmen, daran hatte Leevina nicht gedacht.
»Jetzt können wir gehen«, flüsterte sie. »Die Blechmänner können uns jetzt nicht sehen.«
»Wir werden uns verirren«, prophezeite Kert.
»Ich habe mir den Weg eingeprägt«, widersprach Leevina energisch. »Und jetzt halte den Mund, sie könnten uns sonst hören.«
Sich an den Händen haltend, stolperten sie auf die Lichtung hinaus. Kert bestand anfangs darauf, die Waffe schussbereit zu halten, aber nachdem er mehrmals gestolpert und den Strahler dabei fast abgefeuert hätte, besann er sich eines Besseren.
Der Boden war uneben, voll von abgestorbenen Pflanzenteilen und glitschigen Dingen, die mit schmatzenden Lauten zerplatzten, sobald die Kinder darauf traten. Sie gerieten in Mulden, die so tief mit nassem Moos gefüllt waren, dass sie bis zu den Hüften darin versanken, und in dem Moos wimmelte es von winzigen Tieren. Dann wieder gingen sie über scharfkantige Felstrümmer. Sie trugen die weichen Schuhe, die man ihnen in der Station gegeben hatte, wo alle Böden federnd und rutschsicher waren. Für dieses Gelände waren sie nicht ausgerüstet, und die Füße taten ihnen weh. Aber noch immer galt ihre Angst einzig und allein den Androiden. Sie begriffen gar nicht, in welcher Gefahr sie sich tatsächlich befanden. Vor allem dachten sie keine Sekunde lang daran, was ein
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