Silberband 116 - Der Auserwählte
keine robotische Völlprothese. Es war ein Lebewesen, das weitgehend umgeformt worden war, auf rätselhafte Art und Weise verwandelt.
Noch war der Prozess nicht abgeschlossen.
Der Körper bestand schon aus Stahl, aus derselben Sorte Stahl, aus der auch Laire bestand. Stahl die Beine und Füße, Stahl die Arme und der Schädel.
Kemoauc sah genau hin. Die Spuren waren eindeutig. Gerade erst war ein Fingernagel dem Körper zugeführt und eingearbeitet worden. Das war die Arbeit gewesen, deren Geräuschen Kemoauc gefolgt war.
Der Zeitlose hatte viel erlebt und gesehen, dies hier sprengte beinahe seine Fassungskraft.
Nahezu der gesamte Körper war schon umgewandelt. Nur die Augen waren noch nicht vollendet. Sie standen offen und schienen Kemoauc anzusehen.
Organische Augen, leer, glanzlos, blicklos.
Verzweifelt?
Kemoauc stockte der Atem. Er musste sich entscheiden, denn schon im nächsten Moment konnte die Arbeit weitergeführt werden.
»Ist er tot oder was?« Neerad war zu klein, um den Körper des Verwandelten sehen zu können. Neugierig hüpfte er neben Kemoauc auf und ab, um wenigstens ein paar Blicke auf die reglose Gestalt zu werfen.
»Vielleicht«, antwortete Kemoauc tonlos.
Der Mächtige spürte sein Unbehagen wachsen. War diese Halle auch der Ort seiner Geburt? Seiner Produktion, verbesserte er sich in Gedanken. Würde der Stählerne genauso erwachen, wie es Kemoauc erlebt
hatte - irgendwo im Kosmos* als Herr einer Kosmischen Burg, ohne Gedächtnis, ohne Eltern, ohne Geburt und auch ohne Tod?
War das der Preis der Zeitlosigkeit? Nicht sterben dürfen, weil man nie geboren worden war?
In diesem Augenblick hätte Kemoauc den Preis gerne gezahlt.
Irgendwo erklang ein kaum hörbares Klicken, danach summte ein Gerät. Die Menschenschmiede erwachte offenbar zu neuem Leben.
Kemoauc fasste seinen Entschluss. Abschalten durfte er den Komplex nicht, dazu besaß er kein Recht. Bevor er den Prozess der Umformung ein für alle Mal beendete, musste er das Opfer dieser grässlichen Verwandlung fragen. Kemoauc wollte den Schläfer wecken und die Entscheidung ihm überlassen.
»Folge mir, Neerad!«, murmelte er.
»Wohin? Kämpfen wir?«
»Möglicherweise.«
Kemoauc suchte nach einer Schaltzentrale für den Umwandlungskomplex. Dort wollte er aktiv werden.
Es gab Dutzende von Türen, die in die Halle führten. Ebenso große Fensterfiächen. Kemoauc sah Androiden, die offenbar an ihre Arbeitsplätze zurückkehrten - und er wurde selbst gesehen. Ein Androide gestikulierte lebhaft.
Alarm war ausgelöst worden.
Kemoauc zog sich zurück. Schrill wimmerten die Sirenen durch die weitläufige Halle.
»Wohin, Mächtiger?« Der Vilthaner sah sich gehetzt um.
Kemoauc schritt schneller aus, ohne Neerad zu antworten. Ein Roboter kam ihm entgegen, achtete jedoch überhaupt nicht auf den Mächtigen und seinen Begleiter. Die Zahl der Ungereimtheiten, mit denen Kemoauc sich in Gedanken quälte, wuchs stetig.
Eine Tür, dahinter ein großer Raum mit Instrumentenkonsolen und Hologalerien. In einigen Wiedergaben war der Stählerne zu sehen.
Kemoaucs Blick glitt über die Anlage hinweg und blieb an einigen Holoschirmen hängen. Ein Wort, ein Begriff oder auch ein Name wurde mehrfach angezeigt.
Samkar.
Hieß der Mann so, der in der Bearbeitungszelle zur Maschine umgewandelt wurde? Hatte er so geheißen, oder sollte er so heißen? War Samkar der Name des Projekts, der Name der Burg? Kemoauc wollte sich nicht festlegen.
Es gab eine Reihe von biometrischen Daten. Der Blutdruck wurde
gemessen - er stand auf null. Das Herz des Stahlmanns schlug nicht, seine Atemfrequenz war gleichfalls erloschen.
Dafür gab es einige Parameter, die normalerweise nur bei Robotern maßgeblich waren - Flusskonstanten, Energiedichtefaktoren ... eine schier endlos lange Liste.
Kemoaucs Miene verdüsterte sich zunehmend. Dutzende von Androiden und eine halbe Hundertschaft Roboter drängten sich inzwischen um den Stählernen und inspizierten den Maschinenpark.
Kemoauc suchte nach Eingriffsmöglichkeiten, die ihm der Schaltraum bot. Sie waren gering. Er konnte äußerstenfalls einige Maschinen und Versorgungsaggregate stilllegen, nicht aber den gesamten Komplex.
Schließlich entdeckte Kemoauc etwas, das seinen Puls beschleunigte. Es gab eine Informationsverbindung; Daten flössen von dem Stählernen zum Schaltraum und zurück.
Samkar - falls das der Name des Stahlmanns war - lebte bereits. Sein Hirn, auf welche Art es auch funktionierte, war in
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