Silberband 116 - Der Auserwählte

Und sei auf der Hut, es gibt in diesen Gängen einige böse Überraschungen.«
    »Ich werde bei dir bleiben, Mächtiger.«
    Fast glaubte Kemoauc, ein gelindes Zähneklappem zu hören.
    Ein kräftiger Wind blies durch den Schacht, angereichert mit Abluftgerüchen. Der Gestank war übel, aber noch erträglich. Zudem war es schneidend kalt.
    Kemoauc bewegte sich langsam. Bald erweiterte sich der Schacht zu einer mehr als mannshohen Röhre.
    Schritt für Schritt tastete sich der Mächtige vorwärts und kam erstaunlich rasch voran. Nur manchmal blieb er stehen und lauschte.
    Nach einer Weile wurde das Stampfen schwerer Maschinen hörbar. Dazwischen Zischen und Brausen, schmetternde Schläge und das Prasseln energetischer Entladungen. Kemoauc beschloss nachzusehen, was es mit diesem Lärm auf sich hatte.
    Instinktiv wusste er, dass er in den nächsten Minuten dem Geheimnis der Kosmischen Burg auf die Spur kommen würde - und er ahnte auch, dass es ihm nicht gefallen würde. Dennoch, er bewegte sich rasch und zügig vorwärts. Der Lärm war ein vorzüglicher Wegweiser.
    Plötzlich trat Stille ein.
    Kemoauc schob sich dennoch weiter.
    Der Entlüftungsstollen mündete in einer riesigen Halle. Behutsam spähte der Zeitlose in das Innere der Halle. Sie war fast fünfzig Meter hoch, der Lüftungsschacht verlief in halber Höhe. Kemoauc hatte einen einigermaßen guten Überblick.
    Er sah auf den ersten Blick, was sich in der Halle befand.
    »Laire!«, murmelte der Zeitlose.

21.
    Er lag auf einer Art Bett, eine große Gestalt, annähernd humanoid und eingehüllt in ein künstliches Etwas, das Kemoauc mangels besserer Kenntnis eine Bearbeitungszelle nannte.
    Offenbar war erst ein Arbeitsablauf beendet worden.
    Kemoauc würde sich den Körper in aller Ruhe ansehen können, sobald er näher heran war. Kein Zweifel, hier wurde ein Roboter geschaffen, der Laire zum Verwechseln ähnlich sah.
    »Ein Mann aus Stahl.« Neerad hatte sich sehr zaghaft an Kemoaucs Seite gedrängt. »Schläft er?«
    »Vermutlich«, antwortete der Mächtige.
    Kemoauc kämpfte seine Erregung nieder. Sollte er in die Halle eindringen und den Roboter aufwecken? War die Kosmische Burg also doch nur eine Roboterfabrik? Hatte er sich täuschen lassen und war auf eine falsche Spur geraten?
    Aber wenn die Kosmische Burg gebaut worden war, um Roboter wie Laire zu erschaffen - wozu hatten dann die biologischen Labors gedient?
    Ein Roboter, bei dem selbst Belanglosigkeiten wie ein Fingernagel einer erbarmungslosen Qualitätskontrolle unterworfen wurden, musste ein perfektes Wunderwerk sein, einmalig in seiner Vollkommenheit...
    .... was man früher auch von dem Bund der Zeitlosen gesagt und geglaubt hatte.
    Kemoauc verließ seinen Beobachtungsplatz. »Wir werden den Stählernen wecken«, verkündete er ruhig.
    »Geht das denn?«, wollte Neerad wissen.
    Auf diese Frage blieb der Zeitlose die Antwort schuldig.
    Kemoauc brauchte nur eine knappe halbe Stunde, dann stand er auf dem Boden der Fertigungshalle und betrachtete den Maschinenpark. Etwas störte ihn an der Apparatur, und dieses Gefühl wurde stärker, je intensiver er sich mit dem Labyrinth von Maschinen befasste.
    Plötzlich stutzte der Zeitlose. Sein Gedächtnis war vorzüglich, zudem lag die Erinnerung nicht lang zurück. Diese Maschine, exakt die gleiche Apparatur hatte er schon gesehen, und zwar in der biologischen Abteilung ...
    Was für Experimente fanden in dieser Halle statt?
    Kemoauc schritt schneller aus. Alles in ihm drängte danach, den Schläfer aus der Nähe zu sehen, den neuen Laire, den Stählernen.
    Dann stand er am Rand der Bearbeitungszelle und betrachtete den reglosen Körper. Er presste die Kiefer aufeinander.
    »Was ist, Mächtiger?«, fragte der Vilthaner.
    »Nichts«, sagte Kemoauc.
    Es war kalt. Kemoauc fröstelte, aber er wusste nicht, ob das Gefühl von außen kam oder aus ihm selbst.
    Etwas Ungeheures spielte sich vor den Augen des Zeitlosen ab.
    Der Körper in der Bearbeitungszelle gehörte zu einem lebenden Wesen, einem biologischen Organismus.
    Er hatte zu einem Organismus gehört, wäre der sehr viel präzisere Ausdruck gewesen. Denn was in der Zelle lag, war kein lebendes Wesen. Es befand sich in einem Zwischenstadium zwischen Mensch und Maschine...
    Auf geheimnisvolle, beklemmende Weise war in der Halle ein Lebewesen in einen Roboter umgewandelt worden.
    Nicht nachgebaut und nicht mechanisch kopiert. Was Kemoauc sah, war keineswegs das robotische Abbild eines lebenden Wesens, auch