Silberfieber
jede Woche eine neue Idee entwickelte, die er dann ein paar Tage lang hegte und pflegte, nur um sie anschließend wieder zu verwerfen. Meistens mit der Begründung, das Thema sei viel zu langweilig und interessiere doch sowieso niemanden.
Heute Morgen hatte sich Peter über seinen Anruf gefreut, ihm aber auch gleich gesagt, dass er für den heutigen Freitagabend schon verabredet war. Zwar hatte er nichts Genaueres gesagt, Frank konnte sich aber schon denken, was das für eine Verabredung war. Peter hatte schnell herausgefunden, dass sein neuer Status als wissenschaftlicher Mitarbeiter ihm eine gewisse Bewunderung bei Studentinnen der unteren Semester einbrachte. Er nutzte den Vorteil gern aus, um sich für den Abend zu verabreden.
Frank hatte nicht nachgefragt, mit wem Peter heute Abend ausging. Er wusste, dass er später von ihm sowieso alles darüber erfahren würde. Für den Augenblick genügte es zu wissen, dass der Haustürschlüssel zu Peters Wohnung an der üblichen von außen zugänglichen Stelle lag.
Peters Abwesenheit hatte zudem den Vorteil, dass Frank in Ruhe nach der Seekarte suchen und sich überlegen konnte, wie viel er Peter von dem gestrigen Überfall erzählen wollte. Am Telefon hatte er die alte Seekarte mit keinem Wort erwähnt.
Frank durchquerte die U-Bahn-Station Earls Court, wurde von einer sich schiebenden Menschenmenge erfasst und in Richtung Ausgang gedrückt. Alle wollten so schnell wie möglich nach Hause, um sich umzuziehen und sich dann in das Nachtleben des bevorstehenden Wochenendes zu stürzen. Manche sparten sich auch den lästigen Kurzbesuch zu Hause und nahmen die Abkürzung, gleich von der Arbeit in einen der Pubs an der nächsten Straßenecke.
Zwei Stunden hatte die Fahrt mit Bus und U-Bahn gedauert. Es war dunkel geworden, und Frank hatte noch einen Weg von zwanzig Minuten durch die engen Nebenstraßen vor sich. Er mochte die grauen, vom gelben Licht der Straßenlaternen beleuchteten viktorianischen Häuser mit ihren ausladenden, fast in den Bürgersteig hineingebauten, breiten Eingangstreppen. Doch heute achtete er nicht auf die Architektur, denn er konnte weder Einstein noch dessen schwarze Motorradmaske mit dem grell leuchtenden Aufdruck e = mc 2 vergessen.
Was mochte an dieser alten Seekarte bloß so wichtig sein, dass der maskierte Eindringling ihn mit einer Waffe bedrohte, um sie in seinen Besitz zu bringen? Und warum hatte der Typ sich den Namen Einstein zugelegt? Frank hatte während des Fluges versucht, sich an Einzelheiten der Karte zu erinnern. Aber außer einer Halbinsel und ein paar vorgelagerten Inseln und jeder Menge Wasser war ihm nichts mehr eingefallen.
Endlich erreichte Frank die Sackgasse Crescent Court, in der Peter wohnte. Die kleine Straße bestand nur aus neun baugleichen, viktorianischen Häusern. Im hintersten Haus, am Kopfende der kleinen Gasse, brannte kein Licht. Das konnte nur bedeuten, dass Peter schon zu seinem Date unterwegs war und er den ganzen Abend Zeit hatte, das Rätsel um Einstein und seine geheimnisvolle alte Seekarte zu lösen.
6
Gloria McGinnis war in Eile. Sie hatte sich um sieben Uhr mit dem netten Studenten im Black Pirates Inn in der Tottenham Court Road verabredet und war noch nicht einmal dazu gekommen, sich zum Ausgehen zurechtzumachen.
Jetzt stand sie vor dem Spiegel und zog sich mit dem Kajal ihre Augenbrauen nach. Sie versuchte, sich daran zu erinnern, was er ihr erzählt hatte, als sie sich in der Warteschlange der Cafeteria in der Universität heute Morgen unterhalten hatten. Wenn sie seine Ausführungen richtig verstanden hatte, als sie ihn aus nächster Nähe mit ihren grünen Augen ansah, war er eigentlich gar kein Student mehr, sondern irgendsowas wie ein Assistent des Professors. Nur für welches Fach, das wusste sie nun wirklich nicht mehr. War es Geografie? Oder Geologie? Na, war auch nicht so wichtig, sicher würde sie im Laufe des Abends noch sehr viel mehr über seine Universitätslaufbahn erfahren. Und sei es nur, um ihn von dem abzulenken, was sie wirklich an Peter Adams interessierte. Gerade als sie mit ihrem Lippenstift hantierte, klingelte auf dem Hotelschreibtisch ihr Handy. Nach dem dritten Durchlauf der Glockentöne von Big Ben, die sie eigens für ihren London-Aufenthalt einprogrammiert hatte, schaffte sie es, die Annahmetaste zu drücken. »Hallo?«
»Gloria?«, hörte sie eine leise Stimme, die sehr weit entfernt klang.
»Mr. Van?«, fragte sie.
»Gloria, es kommt auf dich an«, sagte
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