Silberfieber
»Ja, ich habe ihn gesehen. Er ist alt geworden. Er hat sich nicht besonders gefreut, den Sohn eines alten Freundes wiederzusehen, und er wollte auch nicht reden. Ich habe sein ganzes Arbeitszimmer auf den Kopf gestellt, aber ich habe die verdammte Karte nicht gefunden. Ich …« Er brach ab.
Der Regen wurde stärker. Gloria McGinnis setzte ihre Kapuze wieder auf und schob behutsam mit beiden Händen ihre roten Locken zurück, wobei ihre Fingerspitzen an ihrem Hals entlangstrichen. Als sie fertig war, fragte sie leise:
»Hast du ihn getötet?«
Einstein senkte den Kopf. Dann suchte er mit seinem Blick ihre Augen. »Gloria, ich musste es tun. Malcolm McCory hat gegen uns gearbeitet. Er hat seine Herkunft verleugnet und in Hamburg unter einem anderen Namen gelebt. Er nannte sich Dr. Anton Pfleiderer, weiß der Teufel, was er sich dabei gedacht hat. Wahrscheinlich hat er sich den Namen bei seinen Aufenthalten in Österreich und in der Schweiz zugelegt. Dort muss er auch die Karte aufgetrieben haben. Aber verdammt, ich habe bei ihm alles auf den Kopf gestellt und die Karte nicht gefunden. Dieser deutsche Student muss gelogen haben, entweder er hat die Karte noch, oder sie ist hier bei seinem Freund, diesem Peter Adams. Den habe ich heute Morgen auch schon besucht, aber nichts gefunden. Hast du über den etwas herausbekommen?«
»Ich habe ihn gestern Abend getroffen. Du hast Recht, die Karte muss hier sein. Er hat erzählt, er bekäme Besuch von seinem Freund Frank aus Deutschland, und zwar gestern Abend noch. Ich treffe Peter Adams übrigens gleich, drüben bei der Skulptur.«
Sie neigte den Kopf, sodass die Spitze ihrer Anorakkapuze in Richtung der Figurengruppe der Bürger von Calais zeigte, die trotz des nun heftigen Regens von einer Gruppe Touristen umstellt war.
»Verdammt, Gloria«, entfuhr es Einstein, »das ist doch viel zu riskant. Wenn er uns entdeckt!«
Einstein beugte sich tiefer über die Steinmauer und ließ seinen Blick langsam über das gegenüberliegende Ufer und die Lambeth Bridge schweifen, die etwa dreihundert Meter rechts von ihnen über den Fluss führte. Doch beides war zu weit entfernt, als dass jemand sie von dort aus hätte beobachten können.
»Das wird er nicht, mach dir keine Sorgen, Daniel. Peter ist nur ein harmloser, netter Kerl. Ich hoffe, er wird kommen, ich habe mir gestern Abend so viel Mühe mit ihm gegeben.« Aber sie konnte sich nicht zu einem Lächeln durchringen.
»War das mit Malcolm denn wirklich nötig, Daniel? Er war doch ein alter Mann und ein Freund meines und auch deines Vaters«, setzte sie hinzu. »Er war sein Leben lang einer von uns. Es gefällt mir ganz und gar nicht, was dieser Schatz aus uns allen gemacht hat.«
Einstein packte ihren Unterarm, sodass sie überrascht aufschrie.
»Gloria, jetzt reiß dich zusammen. Wir sind so kurz davor. Es ist das Erbe unserer Väter und Großväter, und wir haben die einmalige Chance, es zu Ende zu bringen. Malcolm musste sterben, er ist schwach geworden. Wenn er die Karte in der Schweiz oder wo auch immer gefunden hat, dann wusste er, was draufsteht. Ich bin mir sicher, dass er die Koordinaten kannte.« Sein Gesicht verfinsterte sich.
»Ich bin mir sogar sehr sicher, dass er es wusste. Es war ihm anzusehen, er hat gelächelt, als er starb, und bestimmt nur aus Genugtuung darüber, dass er mir die Koordinaten nicht verraten hat.«
Er ließ Glorias Arm los und ballte wütend die Fäuste. Gloria rieb sich den schmerzenden Arm.
»Malcolm hätte alles verraten«, fuhr Einstein fort, »und dann wäre alles wieder von vorne losgegangen. Wieder wären Hunderte von Fremden gekommen. Sie wären in unser Land eingedrungen, und sie hätten wieder angefangen, in unserer Erde zu wühlen, um uns unser Eigentum wegzunehmen.«
Er brach ab und spuckte verächtlich aus. Als er sich beruhigt hatte, wandte er sich wieder Gloria zu.
»Es wird nicht mehr lange dauern, und dann ist alles vorbei. Wir werden reich sein und beide unseren Frieden finden. Außerdem haben wir Mr. Van, er zählt auf uns, das darfst du nicht vergessen.«
»Ja, Daniel«, antwortete Gloria, »wahrscheinlich hast du Recht, und ich hoffe ja auch, dass bald alles vorbei ist. Die Karte muss ganz in unserer Nähe sein.«
Zum ersten Mal sah er jetzt ein schwaches Lächeln in ihrem Gesicht.
»Ich muss los, um den Jungen zu treffen«, sagte sie. »Hoffentlich führt er mich zu der Karte. Geh jetzt, ich warte, bis du weg bist, und dann werde ich zur Skulptur
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